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Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen

Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen

Titel: Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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der Eigentümerin der »Cleiderei Rosenpfeffer« finden kann, wo man die Swingsixties und Walzerschritte aus dem Elbehotel, den Sälen der Tanzschule Jöhren-Trautmann, Schillerplatz 6, wiederzuhören vermeint, wo man noch Glasknöpfe bekommt, die sonst wohl nur noch Knopf-König, Wien, führt, hatte ich gelernt, den Blick von außen als Erkenntnis-Instrument zu gebrauchen – nirgendwo sah ich stärker, daß die Elbe nicht notwendigerweise am Elbhang, die Szenerien zwischen Pillnitz bis Loschwitz auf der einen, Kleinzschachwitz bis Blasewitz auf der anderen Seite fließen mußte, daß auch der rauhere, von Seevögeln gehißte Himmel Hamburgs als ihr Spiegel möglich wäre, oder eine andere Zeit: Augusts Canal-grande-Gondel, Kriegsboote, von Bomätschern die Treidelpfade entlanggehievte Lastkähne statt der ČSPLO-Schlepper aus dem Böhmischen und der fragil wirkenden Dampfer der Weißen Flotte.
    Wie es den gleichen Zelltyp in verschiedenen Organen oder Strukturen gibt (Nervenzellen im Rückenmark, in der Muskulatur, im Magen), dachte ich, daß es bestimmte Formen Dresdens, ein jeweils besonderes Gewebe, unabhängig von der topographisch zugemessenen Anatomie gab und anderen Verteilungsgesetzen folgte als denen der Morphologie; das rauhe und schmucklose Dresden von Gorbitz und Prohlis, auch manche resigniert anmutenden Orte in Leuben und der Südvorstadt, die von Automeistereien, »Rewe«- und »Netto«-Supermärkten, Fensterflächen, betäubt vom dutzendfach wiederholten »zu vermieten«, »Pfennigfuchser«-Schnäppchen und jenen Vorstadtlädchen gekennzeichnet sind, die »Bei Tino« oder »Salon Ilona« heißen, die Brachen des Industriegebiets vor der Autobahnausfahrt Nord bildeten eine gemeinsame Auffassung von Stadt; das dichtbesiedelte, von der Kesselsdorfer Straße erzogene Löbtau mit Musenhalle und Dreikaiserhof, beide im Krieg zerstört, Stehbierschenken, proletarisch-kleinbürgerlich geprägten Gründerzeitstraßen schien eher zu Leipzig als zu dem Dresdenzu gehören, das mir vertraut war; bei Musik-Meinel in der Neustadt, Ecke Görlitzer / Louisenstraße, war so viel vom Dresden der Zurückhaltung bei gleichzeitiger neugieriger Gesprächigkeit zu spüren, wie es für den alten Schiller- und Körnerplatz kennzeichnend war (und, was den Körnerplatz betrifft, noch ist) mit ihren einen geruhsamen Gang gehenden Geschäften, die Verweilen, gegenseitigen Besuch und Absprachen, Unterhaltung schon in den Eigenheiten der zum Verkauf stehenden Ware begünstigten: Samen-Görn mit seinem Arche-Noah-Sortiment an Pflanzensamen, Rad-Päperer, der die Felgen unserer »Diamant«-Rennräder auswuchtete und so manchen entlegenen Artikel vorrätig hatte oder auftrieb, wenn anderswo hoffnungslos die Hände gebreitet wurden, Friseursalon Degenhardt, jetzt Lampenmanufaktur Zschiesche, Fotoatelier Schumann, in dem Generationen zahnlückiger ABC-Schützen Zuckertüten hochhielten, Vierzehnjährige sich für den ersten Personalausweis fotografieren ließen, Brautpaare ein Lächeln in den Zeitfrost von Plattennegativen und Orwo-Papier aus dem VEB Fotopapierwerk Dresden, weiland Mimosa Foto AG, zur Aufbewahrung gaben. Die Straßenbahnen, die wie Endoskope durch die asphaltierten Speiseröhren zwischen Zentrum und Peripherie fuhren, hatten nicht nur unterschiedliche Nummern, sondern glitten durch unterschiedliche Welten, die nur scheinbar eine gemeinsame Sprache und den gemeinsamen Auftritt hatten, der im Namen einer Stadt vorbereitet wird. Dresden bewahrt einen Schlüssel zu den Labyrinthen, verbunden durch die Wege der Verwaltung, ein Sonderreich, beschattet von spezialisierten, Zuständigkeiten überprüfenden Baumkronen, eingeteilt in aktenkundige Provinzen, zu denen das Rathaus mit seinen kühl verwelkten Fluren gehört, hinter denen Keramiksicherungen die fahnenschwenkenden Zeitalter überlebt haben (aus denen zuletzt Sand rieselte); die Papierlungen der Meldeämter auf der Theaterstraße; die an langsam bewegten Tentakeln arbeitenden Tastsinnesscheiben der Staatskanzlei; Finanzämter, in deren Allesfressergebiet man niemals ungestraft einen Handschuh wirft; die an den Nabelschnüren einer Stempel-Gottheit flottierenden Anwalts- und Notarkanzleien: sie alle bilden eine Geographie, die eigenen Gesetzen und eigener Schwerkraft folgt. Mit dem Schillerplatz verband sich die Vorstellung des venezianischen »kleinenPlatzes«, des Campiello, und ähnlich wie Satelliten-Module zu einer Orbitalstation verbunden sind, scheinen die der

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