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Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen

Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen

Titel: Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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unter gleichgültig nicht einmal auf den eigenen Frühling achtenden Kirschbäumen vermag sie zu verbinden, so daß die Konturen einer imaginären Demokratie der Namen entstehen, Friseursalon Harand, Kosmetiksalon Nofretete, Zigarren-Ziegenbalk, dessen Produkte, wohlschmeckend oder nicht, alle geküßt werden wollten, Elektro-Schäfer, der vor Weihnachten, wenn die Elbe die Beschaffenheit von Wagenschmiere annahm, den gesamten Schillerplatz zu einem sterneschüttenden Füllhorn illuminierte, Leder-Näter, wo ich meinen Schulranzen bekam, Drogerie Weigelt mit ihren wie von fernen Gestaden angespülten Salben und Ingredienzen (Schellack und Borneo-Naphtha, Flüssigbohnerwachs, Blattlausgift und Deos von Florena mit einer eben den pflegenden Wassern entstiegenen Aphrodite); ich sehe die Alltage mit den Feiertagen des Körpers eine Allianz der Wohltaten eingehen (Dresden, eine Kinderstube der Nahrungs- und Genußmittelindustrie) und ihre anmutigen Töchter Berührung, Reinigung, Entspannung die Hochzeitsverträge aushandeln.
    Durch seine Lage »unten«, am Fluß, nahm Blasewitz näher an den städtischen Obliegenheiten Anteil als die »Häuser auf den Hügeln«, die zu entrückt und provinz-olympisch schienen, um sich für die Polis anders als »leitend« zu interessieren, sie anders als steuermännisch zu kommentieren, man war ja schließlich wer, man war »der Hang«, nicht »die Stadt«. In Blasewitz lebte man in Rufweite des Zentrums, blieb gewissermaßen in Bereitschaft wie Orchesterdirektor Arthur Tröber, der von seiner Wohnung in der Lene-Glatzer-Straße lange und nachdenklich in die Sickingenstraße sah, oder die Assistenzärzte in den Sechzigern und Siebzigern, die es nicht weit bis zur Medizinischen Akademie hatten. Der Schillerplatz war ein Ort der Waren; hier wurde herangeschafft, hier endeten viele Peripherien, und selbst weit »überelbsche« Bewohnernahmen den Weg über die Brücke, um einzukaufen, das Angebot war stadtbekannt: Die ansässigen Geschäfte hatten das Bestreben, möglichst viele der knappen Güter auf Vorrat zu haben, sie pflegten eine traditionelle Auffassung von Berufsehre und jenen eigentümlichen Stolz, der sich im Wort »… von ganz Dresden« ausdrückt. Und wenn Herr Jakob, genannt Karajan vom Schillerplatz, den Stab dann niederzucken ließ, gestattete er dem Verkehr, seine vorübergehend unterbrochene Machtausübung wiederaufzunehmen, wie ein guter Dirigent seinem Orchester Momente der Freiheit läßt, damit es die Energie des Zwangs mit der Energie der Zügellosigkeit befeuern kann, und wenn Herr Jakob die für ihn so charakteristische tänzerische Wendung mit einem Körper vollführte, dem das En-garde-Weiß des Uniformfracks einen rittmeisterlichen Habitus verlieh, während die gefechtserprobte, mit Elsterglanz aus Weigelts Drogerie polierte Reihe der Knöpfe die Aufmüpfigkeit eines Mopeds, das Autorität anzuzapfen versuchte, mit einem Echo aus gleißenden Warnungen quittierte, wenn Herr Jakob dann die Linke mit der Trillerpfeife mehr nachsichtig als entschieden zu einer Fermate hob, öffneten sie ihre detailtrunkenen Bullaugen, die als Einzelhändler getarnten Flottillen der Verschönerung und Beispiele für unnachahmbare Leben.

Elbfähre Pillnitz 1985

Auch bemerkte man, wenn man durch Blasewitz ging, wie nah die Elbe immer blieb, wie wenig Boden das Protzerische deshalb im Dresdner Geist einnehmen konnte (man durfte nie selbstsicher genug dafür sein); der Waldpark und die mittlerweile von Kanzleischildern versilberten Perspektiven der Mendelssohn- und Goetheallee, des Vogesenwegs und der Prellerstraße wirkten urban und un-aquatisch, hier lebten Landbewohner, die die Drohungen des Flusses weit genug aus dem Bewußtsein geschoben hatten, um sie im Alltag zu vergessen, sie hatten nicht die Seerosengärten, den Geruch nach Froschlaich und Brunnenkresse in den Kellerwinkeln wie die Antipoden in Loschwitz. Dennoch hat es auf beiden Seiten beim Hochwasser 2002 die bekannten Überschwemmungen gegeben; in Blasewitz für ein Hanggewächs wie mich, das seine Kindheit auf der Lene-Glatzer-Straße im idealisch trockenen Schimmer der Sorglosigkeit sieht, mehr zum Erstaunen, Loschwitztraut man das Wasser und die Folgen seiner Angriffe eher zu, obwohl Blasewitz nicht von ungefähr auch »Schwemmland« genannt wird. Am Schillerplatz, in der Bucht vor dem Schillergarten, wo der Wochenmarkt stattfindet und man The Brain of Blasewitz (Bernd Beyer, Bariton) im Gespräch mit Drogist Weigelt und

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