Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen
Zahnbürsten ab, echt! Hab ich gelesen! Weil’s ’n paar Gramm Gewichtersparnis bringt. – Im Ernst? So’n Käse. – Na ja, summa summarum haben sie rund sieben Kilo auf’m Buckel. Ich war mal in Norwegen, hatte zwoundzwanzig zu schleppen, und mein Kumpel dreiunddreißig in der Kraxe. Wenn du da bloß sieben Kilo hast, und es ist alles dabei, Funktionswäsche, Zelt, Kocher, Proviant … – Ja, und ’ne abgesägte Zahnbürste. Und du stinkst wie ’n Wiedehopf. Niels redete von den Aufträgen der Badausstatterfirma seines Vaters, in die er nun einsteigen sollte. – He, Niels, hast du deine Liebste nich mitgebracht? – Nee. – Wo isse denn? Krank? Arbeiten? – Du, ’s is’ ja nich mehr meine Liebste. – Mensch, echt. – Nu ja. – Tut mir aber leid, ich hab euch doch, ich mein’, wir waren doch erst vor ’ner Woche … oder waren’s zwei … – Nee, kann nich, Reglinde, wir waren zusammen im Urlaub vor zwei Wochen, meine Ex und ich. Mußlänger her sein. Aber na ja. – Mensch, Niels. – Ach. – He. – Ach, komm, ist ’ne Erfahrung. Niels war Architekt und hatte ein Büro in einem Gewerbegebiet, nackte Betonwände, ein großer Tisch mit zwei Computern, ein Stahlgestell für Pläne und Zeitschriften, eine Art Küchendeck, ein rotes Farbschlierenbild und, auf einer Stele, eine Keramikeule. Das Büro hieß »B(l)aumeister«. Ezzo redete über Grafikkarten und eine neue Chipgeneration. Rico knabberte Salzstangen. Niels sprach von seiner Bewerbungstour, er war durch Holland gefahren. – Und? – Paar Kaffees umsonst und Oostende gesehen. – Und sonst? Noch alles an Deck bei dir in der WG? fragte Anna. – Katja ist noch da, hat jetzt das Physikum bestanden. – Wie lange studiert sie schon, hat sie nicht vor drei Jahren schon studiert? – Jaja, aber da waren wohl ’n paar Hürden, die … Sie hatte wohl noch nicht alle Scheine. Aber jetzt kommt sie ins dritte Jahr. – Und sonst? Du hast doch noch das Büro, behältst du das vorläufig, ich mein’, wenn du jetzt ganz bei deinem Vater einsteigst, dann machst du ja nur noch Badausstattung, und dein Büro … – Ich halt’s noch, ist ja billig im Gewerbegebiet, aber ich mach’ bloß noch was so für Freunde. Für Freunde. Kleinere Sachen halt, die mal so anfallen. Ich lass’ es noch ’n bißchen nebenherlaufen, aber ich steck’ jetzt nich die großen Efforts mehr rein. Und wie läuft’s mit der Schwangerschaft? – Bin viel müder als früher. Schlaf’ zehn Stunden, wach’ auf und bin gerädert. – Wißt ihr schon, was es wird? Wollt ihr’s wissen? – Mohr sagt, es wird ein Junge. Männer mit Vollbart bekämen Mädchen. Und er rasiert sich ja jeden Tag. Und so wie der Werschel rumtobt … Sechster Dezember ist Termin, aber das stimmt ja nie genau. – Also wird’s ein Nikolaus. Ich schreib’ euch ’ne Karte.
Temporäre Kneipe Neustadt 1994
Als Junge hatte ich die Geschwister hier manchmal besucht. Sommers, vor dem Aufstehen in der Frühe, rieselten Bienen in der Apfelbaumkrone vor dem Fenster; die Sonne war noch still, eine ausklarende Frucht. Manchmal verirrte sich eine Biene in die Kammer, zu den Büchern: »Der gelbe Sänger«, das ein Namensvetter von Ezzos und Reglindes Großvater geschrieben hatte, Bleistifteintragungen in Sütterlinschrift neben den abgebildeten Kanarienvögeln; die Biene knickte ihren Flug an den Kammerwänden, beachtete weder Ezzo noch mich, fand keine Blüte und ignorierte eine Weile das Fenster. Bevor wir aufstanden, unsere Phobie überwanden, steuerte sie ins Licht und war verschwunden.
– Und, Reglinde, du willst das Haus verkaufen. – Ich muß. Kann’s nicht mehr halten. Im Sommer ist das ja ganz schön, aber im Winter … Holz hacken, Kohlen schleppen, die Ausgüsse sind ewig verstopft, und die Regenrinnen … Ist ja ein Hanggrundstück. Das Haus gleitet. Niels, du bist doch Architekt, hast du den Riß gesehen? – Ist der nur so’n bißchen, so … – Nee, der geht, also, von oben bis unten, durchs ganze Haus, das ist das Problem. Was könnte man da machen? – ’n Ringband aus Stahl drum. – ’n Ringband? – Ja, wie’n Korsett ums ganze Haus. Kostet viel und ist aufwendig, und wolltest du nich weg, mehr in die City?
Kinder tobten ums Feuer, das jetzt grobe Funken warf. Die Männer saßen in Islandschaf-Wollpullovern mit unlackierten, offenstehenden Holzknöpfen. Die Frauen sprachen über Montessori-Kitas, Kindergarten sagte niemand mehr. Ein Junge brachte für ein Spiel ein Körbchen
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