Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen
Gläser, Flaschen, Altpapier zu sammeln, trabten mißmutig an den Kohlenträgern vorbei, deren Augenweiß in den rußigen Gesichtern von hemmungsloser und blendender Reinheit schien. Die Leiterwagen knarrten und klapperten; waren einige Flaschen geladen, wurden sie zu mobilen Scherbenorchestern. Die Kohlenträger gingen zu den Lieferwagen, oft noch Dreiräder (die Dreikantfeile genannt wurden), drehten sich um 180 Grad, bückten sich und ließen den Kohlensack, den sie über die Ladeflächenkante geschleift hatten, auf Schulter und Nackenleder kippen, kurzes Zurechtrücken der Last, der Blick fixierte den Boden, Pflastersteine, Risse, Buckel des Bürgersteigs, dann wankten die Kohlenträger vorwärts, hustend vom schwarzen Staub, der ihre Hände zu wurzelartigen Klauen werden ließ, über denen die Unterarme, nackt sichtbar bis zu den aufgekrempelten Hemdärmeln am Ellbogen, erschreckend hell und verletzbar wirkten. Karierte Hemden, grau und braun, die schlecht bestimmbare, erdige Farbe der Westernheldenkleidung, abgeschabt; nie sah ich, wie auf den Fotos von Bernd Heyden oder in Konrad Wolfs Film »Solo Sunny«, in Dresden jene Brikett-Schlichtkästen aus Holz, die für Ostberlin typisch waren und ihre Wahrheit mit der Wahrheit der Freibäder mischten, die aus einem Wort wie »Kaltschale« und dem Fruchtgeruch der Sommerlimonaden steigt.
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Bis zu unserer Rückkehr kamen Anna und ich nur selten nach Dresden. Wir waren weggezogen, wie so viele. Im Pillnitzer Park hatten wir geheiratet, wie damals gingen wenige Menschen dort. Die Orangenkübel standen noch draußen, vor der Treppe zur lautlosen Elbe. Abends fuhren wir zum Lohmühlen-Haus, von dem Reglinde, wie die Betreff-Zeile ihrer Mail angekündigt hatte, Abschied feiern wollte. Das war im September 2006. Wir hatten die lange Zugfahrt von Karlsruhe hinter uns, acht Stunden im ICE, und Anna war müde; Werschel, wie wir unser Kleines nannten, war aufgeregt, es boxte und purzelte, kopfüberte, kopfunterte im Bauch herum. Das Lohmühlen-Haus war in den dreißiger Jahren gebaut worden, klein, abseits, mit schwierigen Krediten schwierig abbezahlt, schutzsuchend vor den großen Winden. Es stand am Hang und hatte einen Garten mit Streuobstwiese und Kompost und einer Reihe schwermütiger Schuppen, in denen Reglinde, die seit dem Tod ihrer Großeltern hier lebte, wahrscheinlich nicht selten genug zu tun hatte, um sie für immer abschließen zu können. Ezzo sagte, daß eine Frau, die wir flüchtig kannten, schwanger sei, nach zwei Wochen,vom Richtigen. Er war nicht mit dem Mountainbike gekommen, hatte noch selbstgebackene Torte mitbringen wollen, doch die transportiere sich schlecht auf dem Rad, deshalb das Auto; er zog die Schultern hoch. Er überlege, ob er das Auto auf Bioantrieb umrüsten lassen solle, Rapsöl aus kontrolliertem Anbau, das koste 55 Cent pro Liter, das Umrüsten knappe anderthalbtausend Euro. Der Ruß sei auch ungiftig, im Gegensatz zu Benzin oder Diesel, erst recht Biodiesel, das sei wirklich die reine Mogelpackung, denn der Diesel werde so lange in verschiedenen Verfahren gereinigt, bis er die Umweltauflagen erfülle, aber das Reinigen selbst sei die größte Schweinerei. Reglinde wollte ein Kind haben, aber sie hatte eine Unmenge Freunde und Bekannte. Viele waren hier, wir kannten sie von anderen Feiern. Anna sprach von Werschel, vom Kinderbettchen und der Wickelkommode, die Walter gebaut hatte, der Exmann ihrer Mutter – mit dem sie nun aber wieder zusammenlebe in seinem Zschachwitzer Grundstück, mitten in der Flutrinne; was sie zu spüren bekommen hätten in der Flut 2002: Übrigens war ich damals hier draußen und habe Sandsäcke geschleppt, hab sogar im Haus übernachtet, erinnert ihr euch? War schön, nachts die Gerüche, die zum offenen Fenster reinkamen, und ich dachte, es gibt einen Gespenster-Müller, die Dielen knarrten, als ob frühere Leute umgingen, war hier mal ein Gespenster-Müller? Ezzo fragte, was für Holz Walter für die Wickelkommode und das Bett benutzt habe. – Fichte. – Ja, gute Flammung. Buche hat so gut wie gar keine, sieht nach kaum was aus. Und verzieht sich, was denkst du, wie Buche nacharbeitet. Aber Fichte geht. Du kannst den Flammton richtig rausholen, mußt mit Öl firnissen. – Kein Lack? – Wo denkst du hin! Am Lack kann das Kind doch lecken, ist doch alles nicht astrein, ist doch alles giftig. Außerdem braucht es lange zum Trocknen. Nein, am besten ist, du nimmst Leinöl, mit einem Zusatz Orangenöl. Hat
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