Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen
»weltoffenes Dresden« zweifelnd den Kopf schütteln würde.
… und doch: zwiespältiges Verhältnis. Seine Bilder erschienen mir oft als Vorwand und Beispiel eines in Dresden besonders geachteten Realismusbegriffs, dessen Publikum glaubt, daß Kunst, die wahr und darum groß sei, nur aus den Tiefen der Erde kommen könne, ernst und schwer sein müsse; Phantasie und Erfindung bestenfalls Zutat, im Grunde wertlose Spinnerei. Nach der Natur malen. Und Picasso? Klee? Bosch? Dürers Rasenstück, ein ganz und gar phantastisches Kompendium? Aber ich kannte Querner nicht gut, nur die Aquarelle an den Wänden meines Onkels und meiner Eltern, einiges hatte ich in Freital und im Albertinum gesehen. Bilder, die Breschen in unsere Wohnung auf dem Weißen Hirsch schlugen, Ansichten einer rauhen, ungefälligen Gegend, Äcker, Katen, sich in die Hügel verkriechendeWege, vom Wind geschurigelte Bäume. Querner, der an der Akademie auf der Brühlschen Terrasse studierte, beim Kunstunteroffizier, bekennenden Nationalsozialisten und späteren Rektor Richard Müller, der Bilder von eisiger Präzision schuf und dem kein Bleistift spitz genug sein konnte, um den Zöglingen in gnadenloser Härte die Exaktheit von Proportion, Linie, Perspektive anzudrillen. Querner verließ die Akademie vor Studienende, weil er unmittelbar malen wollte, nicht verstellt durch Gebote und den langsamen Auftrag von Lasur. Zimmer in der Rosenstraße, in einem Arbeiterviertel der Wilsdruffer Vorstadt, wo er 1930 den Jungen porträtiert, blaues Hemd, Fabrikmütze, Brille, ein Dreizehn-, Vierzehnjähriger höchstens mit hängenden Schultern, vom Leben am Kragen gepackt und aus der Kindheit geschmissen, kurze Schulzeit, kurze Lehre, ein Fresser weniger am Tisch, und bald Soldat. Das glorreiche Dresden. Die goldenen Zwanziger. »Gina und ich«, sie dem Betrachter zugewandt, er verschlossen, bedrückt wirkend, seitab starrend, seine Hand auf ihrer Schulter, ohne Kitsch und süßes Zeug; Gefährten in finsteren Zeiten.
Blaues Wunder 1998
Der eisengrüne, wie ein Druide am Wegrand wachende Quittenstrauch, Tausende Früchte, das Gelb scheint sich aus dem Grün herauszukämpfen, pelzig verwachsen mit der verwandten Farbe, die es so rasch nicht entläßt. Das Dorf wie ein durch eine Störung geweckter Schläfer, der unwillig die Uhr prüft, bevor er sich auf die andere Seite dreht. Hundegebell aus ferneren Gehöften. Männer sind nicht zu sehen, in den Vorgärten mähen Frauen den Rasen. Stille Luft, Gerüche: Kuhdung, der Duft von Apfelbäumen, die wie müde Riesen allmählich das Dorf und seine abgesunkenen Grenzen zu verlassen scheinen, dem Altenteil hinter den Wiesen zu. Curt-Querner-Gasse. Das Malerhaus liegt etwa halbe Höhe, mit der Schmalseite zum Weg, abgegrenzt von einem Staketenzaun in verwittertem Bohnengrün; Kompost, ein umgestülpter Topf auf der Mauer, eine Bank neben dem Hauseingang, auf der abends, nach getaner Arbeit, vielleicht noch Querners Eltern gesessen haben, er selbst wohl nicht. An der Hauswand eine Bronzetafel, die an den Maler erinnert; gegenüber die Trümmer eines eingestürzten Gehöfts, Balken, verfaulte Sparren liegen durcheinander, Unkraut isthochgeschossen, überragt von mächtigen Kirschbäumen, die Splitterstellen abgebrochener Äste sind traubig verharzt.
… Selbstbildnis mit Brennessel, vor der Bodenkammer, der Mann aufrecht, geradegereckt (»wie er’s gelernt hat«, wie das hieß), Scheitel, dunkles Haar, kantige Züge, die rechte Hand im Gürtel verkrampft, schwarzer Pullover zu graugrüner Hose, der Oberkörper halb abgewandt, die Haltung der Angegriffenen. Leben auf dünnem Eis. Die Bodenwand gibt Schultern und Oberarm eine harte Kontur. In der Linken, rücksichtslos gepackt, die Brennessel, schlimme Zeiten, draußen marschieren die Vereinfacher, die Lügner und Verrückten, die Schwätzer, Aufräumer und Nützlichkeitsfanatiker, Schlagetots recken Arme, Menschheitsbeglücker ballen Fäuste, Vergessen und Gleichgültigkeit wachsen. Hinter dem Kopf mit den unnachsichtig mißtrauischen, wissen wollenden, dem Gold und dem Rosa abgeneigten, erschütterten und angstvollen Augen die karge Kammer, ein paar Bücher und Papiere, ein Schusterschemel vor einem beiseite geräumten, großformatigen Traum.
Eine Kreissäge springt an, ein erloschener Traktor kniet im Acker, unterm Kanaldeckel (»Guss- und Armaturwerk Kaiserslautern«) plätschert Wasser. Heuballen sind mit Plastikplanen abgedeckt, nachlässig, wie man es auf dem Land
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