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Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen

Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen

Titel: Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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nicht erwarten würde – als spielte es keine Rolle mehr. Ein Großer Fuchs sonnt sich auf einem Stein, die Flügel aus trockenem Orange. Querners Haus: schwarze Balken, weißer Putz.
    … das alte Dresden, wovon so verklärend die Rede ging an den Kaffeetischen, was war’s ihm? Wohnte Annenstraße, Nähe Postplatz, Arbeiterviertel. Ging er über die teure Prager Straße, ins Kaufhaus Esders, feinste Herren- und Kinderwäsche, hatte er Geld fürs Capitol-Kino, das Residenzkaufhaus, stellte er im Kunstsalon von Emil Richter aus, bekannt für seine Aufgeschlossenheit dem Neuen gegenüber, und feierte anschließend im Café Rumpelmayer, Ecke Sidonienstraße, aß er Torte im Palmenhof unter der bunten Glaskuppel, konnte er seiner Familie einen der weitgerühmten Christstollen der Konditorei Hülfert oder Südfrüchte im »Spanischen Garten« kaufen, ging seine Frau Regina, Schwester des Malers Wilhelm Dodel, ins Institut für Schönheitspflege von Charlotte Meentzen (später zwangsenteignet und VEB Kräutervital)? Inflation, Weltwirtschaftskrise. Querner im Heer der Arbeitslosen, Amt Maternistraße, Wohlfahrt und Volksfürsorge, in der Maternistraße könnte er Theo Tellkamp begegnet sein, ebenfalls Stempelgeher und mein Großvater väterlicherseits, er putzte Fahrräder und richtete, gemeinsam mit seinem Bruder Hans, der in der Sowjetunion »vermißt« werden würde, für ältere Leute Wohnungen vor. Querner verkaufte Kälberstricke und selbstgedrehte Wäscheleinen an die bettelarmen Häusler des Erzgebirges. Als Soldat kam er nach Skedsmo in Norwegen. Seine Frau holte beim Angriff am 13. Februar Bilder aus dem brennenden Atelier.
    Die noch einmal sich aufbäumenden wilden, von schweren Äckern bebrüteten Farben: das späte Ocker einer von den Staren verschmähten Kirsche, von Windböen aufgerissener Wolkenbrei, kalte Flammen von Stahlblau züngeln, verwischen; aufgewiegelte, speckige Grüns in der Ferne, die bis in die Sächsische Schweiz zur Festung Königstein reicht, zum Hutberg bei Kamenz, Zittauer Gebirge, Böhmische Schweiz. Das Gelb der Birnbäume, diese volle, an den Rändern schon ins Schwerelose gelichtete Farbe, ihre saftige Wut, wenn der Wind hineinfährt und Stücke davon losbricht, die wie Flitter treiben. Eifersüchtige Pappeln, die, von einer Bö angefacht, wie Fackeln auflodern, ihr Messing an die Höhenzüge klatschen. Meno rennt querfeldein durch Laubstrudel, macht einen Zielsatz wie beim Sackhüpfen, kommt mit einer Birne zurück. Die dunkelgrünen Sprossen auf der Frucht, Sternbildern ähnlich im Blaßgrün des Fruchtkörpers; Meno rennt wieder los, seine Jacke ein Fleck Rot im Krähenwind, die Vögel sind quarrend von den Stoppeln gestiegen, magnetische, torkelnde Flügel.
    … De la Tubize, französisches Kriegsgefangenenlager, wo Querner den aus Brettern zusammengenagelten, mit Bindfäden geflickten Hocker malt, die ihm gebliebene Habe.
    … bizarr sein ist einfach, abweichen, das kann heute beinahe jeder, Flucht aus dem, was kaum noch jemand erfährt, so überformt alles von Medien und Sekundär-Angelegenheiten, dieser neuen ätherhaften Wirklichkeit des Scheins, vom Ich doch nicht und Ich habe mit niemand anderem etwas zu tun und Ich bin ich und Ich bin und Ich. Der Maler interessiert sich nicht für das Skurrile, zumindest nicht in seinen Bildern, hätte es womöglich als Interessantmacherei abgetan, etwas, das leichter zu haben sei als das andere, die sogenannte Realität, die jeder zu kennen und somit voraussetzbar glaube; sie aber will gefunden sein wie alle Wirklichkeit.
    … Querner, geboren 1904, gestorben 1976, Anwalt des Hinterlands, der Dörfer und ihrer von Krieg und Plackerei auseinandergenommenen Menschen, mit denen er lebte. Und wie er lebte: kannte den Hunger, war aussätzig unter ihnen, ihren scharf und genau gezogenen Standesschneisen (unermeßlich der Abstand zwischen einem Großbauern und einem kleinen Häusler wie dem Bauern Rehn, den Querner oft porträtierte), ihren nüchternen Rechnungen: soundsoviele Kälber, die Kränkler weg, Schweine, soundsoviele Ferkel, die Kümmerer weg, die Kuh muß geschont werden, der Bauer spannt sich selbst in die Sielen, die alte Katze ersäufen, die jagt nichts mehr, »der unnütze Esser«, die Hände, die Magd und Frau und Tochter prügeln, den Sohn aber nicht, denn der ist der Erbe; wir wollen nichts idealisieren. Zwiespältiges Verhältnis: Ein wenig zu voreilig sind mir die Zuschreibungen »Tiefe« und »Wahrheit«, mit denen Querner

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