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Die schweigenden Kanäle

Die schweigenden Kanäle

Titel: Die schweigenden Kanäle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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einzuquartieren. Morgen dann traf man sich um die gleiche Zeit wieder im Bahnhof … und alle Sorgen zerplatzten wie ein zu prall aufgeblasener Luftballon –
    »Prego, Signorina …«, sagte der kleine Boy noch einmal.
    Ilse Wagner nickte müde. Sie ging dem Boy nach, sah nicht mehr die kostbaren Gobelins an den Wänden, die kristallenen Murano-Leuchter, die alten venezianischen Spiegel, sie sah nicht die kritischen und abschätzenden Blicke der Frauen und das erwachende Interesse der Männer für die unbekannte Schönheit … mechanisch ging sie dem Rot der kleinen Pagenuniform nach, setzte sich auf einen weichen Stuhl, den man ihr unterschob und sah eine braune Hand, die aus einer mit einer weißen Serviette umwickelten Flasche tiefroten Wein in ein geschliffenes Glas goß.
    Hundert Mark, dachte sie wieder. Ich werde nicht einmal die Rechnung dieses Soupers bezahlen können. Jeder Schluck von diesem Wein sind einige Mark Zechprellerei.
    Ein Ober servierte in einer winzigen Tasse eine Suppe. Sie war scharf, kleine helle Fleischstückchen schwammen darin herum. Schildkrötenfleisch. Ilse Wagner löffelte sie, ohne zu wissen, was sie aß.
    Ein Telegramm an Anny, dachte sie. Anny war Chefsekretärin in einem Industriebetrieb. Sie konnte ihr 300 Mark leihen. Bestimmt tat sie es, wenn sie Ilse Wagners Lage hörte. Telegraphisch. Aber auch das würde mindestens 2 oder 3 Tage dauern.
    Zwei Kellner stellten einige silberne Platten auf einen Beitisch. Das Rotweinglas wurde abserviert, eine neue Flasche in einem Tischkorb hingestellt, einer der Ober probierte in einem kleinen Glas den Wein und schenkte dann ein. Einen rosé schimmernden Wein, in dem sich das Licht des Kristall-Leuchters brach.
    Ein Teller mit einem englisch gebratenen Steak, garniert mit Spargel, gegrillten Tomaten, Pommes frites, Kräuterbutter, zarten grünen Bohnen und winzigen Erbsen wurde ihr gereicht. Sie hörte zwei Stimmen »Guten Appetit« wünschen und war dann allein.
    Sie aß langsam und würgte die Fleischstückchen herunter, weil sie bemerkte, wie einige Augenpaare sie beobachteten. Sie sah, daß man über sie sprach, daß man rätselte, wer sie sein könnte.
    Wenn ihr alle wüßtet, dachte sie. Ihr seht eine geborgte Herrlichkeit, die morgen zu Staub zerfallen wird. Vielleicht schon in wenigen Minuten, wenn der Oberkellner mit der Rechnung kommt.
    Wieder schnürte ihr die Angst die Kehle zu, die Scham, vor allen diesen Leuten wie eine Zechprellerin behandelt zu werden.
    Sie schrak hoch, als ein Schatten über den Tisch fiel. Jetzt, dachte sie. Jetzt beginnt es …
    Der Geschäftsführer verbeugte sich galant.
    »Alles zu Ihrer Zufriedenheit, Signorina?«
    »Ja, danke …«, stotterte Ilse Wagner.
    »Haben Signorina noch einen Wunsch? Einen Fruchtsalat zum Nachtisch. Mit Maraschino …«
    »Nein, danke.« Ilse Wagner verkrampfte die Finger ineinander. »Nur eine Auskunft … Ich suche einen Herrn –«
    Der Geschäftsführer starrte sie ungläubig an.
    »Einen Herrn? Signorina meinen Signore Cramer. Er wird gleich zurückkommen. Es ist bedauerlich, daß …«
    »Nein. Ich suche einen anderen Herrn. Ich bin nach Venedig bestellt worden und wurde nicht abgeholt.«
    Der Geschäftsführer schwieg galant. Das ist traurig, dachte er. So etwas tut kein Kavalier. Andererseits, sie hat sich schnell mit diesem Cramer getröstet. Madonna, was geht's mich an? Zimmer und Souper sind im voraus bezahlt. Und man macht ein Auge zu … in der Stadt der Verliebten wäre es ein Frevel, viel zu fragen.
    »Wenn ich Ihnen helfen kann, Signorina …« Es war nur so dahingesagt.
    »Der Herr heißt Dr. Peter Berwaldt –«
    »Signore Berwaldt …« Der Geschäftsführer sah Ilse verwundert an. »Aber ja. Wohnt in unserem Haus …«
    »Was?!« Ilse Wagner vergaß die Exklusivität ihrer Umgebung, die große Ausbrüche verbietet. Sie sprang auf und stieß dabei bald den Tisch um. Der Geschäftsführer hielt ihn milde lächelnd fest. »Dr. Berwaldt ist hier?!«
    »Appartement 8-10, erster Stock.«
    »Und das erfahre ich jetzt erst?!«
    Der Geschäftsführer hob beide Hände. »Signorina haben mich nie danach gefragt –«
    »Aber Herr Cramer wollte sich doch darum bemühen und –«
    »Signore Cramer fragte mich heute abend ebenfalls danach …«
    »Dann … dann weiß er, daß Dr. Berwaldt –«
    »Natürlich.«
    Ilse Wagners Spannung fiel zusammen. Sie starrte auf den Tisch und wußte nichts mehr zu sagen.
    Er weiß es, dachte sie nur. Er weiß es seit Stunden und hat

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