Die Schwere des Lichts: Roman (German Edition)
Sonnenlicht.
Lils Wohnung roch nach Seife und einer wilden Mischung von Parfümen – zu viele Mädchen auf engem Raum. In der Küche stand schmutziges Geschirr, aber das Wohnzimmer war aufgeräumt, weil ich Lil über meinen Besuch vorgewarnt hatte. Sie saß auf dem Sofa, die Beine unter sich zusammengefaltet. Ihre Haare wurden von einem Haarband aus dem Gesicht gehalten, die Locken fielen ihr auf Schultern und Rücken. Die bronzefarbenen Strähnchen in ihrem Haar, wie hängengebliebene Fäden, hatte sie von meiner Mutter – eine unabsichtliche Gabe, auf die Mutter aber oft hingewiesen hatte, als hätte sie etwas von großem Wert geopfert.
Lil war ungeschminkt, mein Herz zog sich beim Anblick ihrer Schönheit zusammen, als ob all ihre Lebensphasensich in ihrem Gesicht zeigen würden. Die Züge, die mir vertrauter waren als meine eigenen, weil ich länger und genauer ihre Augen, ihren Mund, ihre geschwungenen Augenbrauen betrachtet hatte als mein eigenes Spiegelbild.
Wir, Rusty und ich, hatten nie über Familienplanung gesprochen. Wir hatten uns nie hingesetzt und gesagt: »Gut, bekommen wir fünf Kinder.« Oder ein Kind. Ich erinnere mich an ein Abendessen, bei dem Rusty gefragt wurde, ob wir noch mehr Kinder haben wollten, und Rusty geantwortet hatte, wir fänden, eines sei mehr als genug. Ich hatte genickt, mit dem dumpfen Gedanken im Kopf, dass ich mich an kein Gespräch darüber erinnern konnte, aber mit einem Neugeborenen war ich viel zu erschöpft, um auch nur ansatzweise Widerspruch einzulegen.
Später fragte ich ihn nach seiner Antwort, und er reagierte überrascht, seiner Meinung nach hätten wir doch darüber gesprochen, dass wir nur ein Kind wollten, dass wir uns keine Horde schreiender Gören vorstellen konnten und dass wir doch beide gesagt hätten, wie glücklich wir über die gesunde, wunderschöne Lil waren und dass wir kein Risiko mehr eingehen wollten. »Oh«, hatte ich gesagt. Nur »Oh«. Dann zweifelte ich an meinem Verstand, weil ich mich an kein derartiges Gespräch erinnern konnte.
Im Lauf der Jahre entschied ich für mich, dass Rusty damals nicht wirklich gelogen hatte, sondern dass unsere Gespräche über die Kinder anderer Paare und Kinder im Allgemeinen ihn glauben gemacht hatten, meine Gefühle wären so.
»Mom«, sagte Lil in dem entnervten Tonfall aller ewig ungeduldigen jungen Erwachsenen.
»Ja?« Ich lächelte sie an.
»Hast du eigentlich gehört, was ich gerade gesagt habe?«
»Ja, du hast gesagt, dass Chemie doof ist, dass Billy Morton einen Alkoholtest machen musste, dass du deine neue Mitbewohnerin nicht ausstehen kannst, die über den Sommer Indies Platz eingenommen hat …«
»Oh«, sagte sie und erwiderte mein Lächeln. »Du hast einfach nicht … na ja, reagiert.«
»Ich habe zugehört«, sagte ich. »Und deine Stimme genossen.«
Sie verdrehte die Augen, aber das Lächeln blieb. »Also, genug von mir. Wo fährst du mit Tante Sadie hin?«
Sadie hatte sich allein auf den Weg gemacht, um im Buchladen in Toomer’s Corner ein T-Shirt für ihren Sohn zu kaufen. Eigentlich war sie nicht Lils Tante, aber da Rustys Bruder Matt in Memphis wohnte und in unserem Leben kaum eine Rolle spielte, war Sadie vom ersten Tag an Lils »Tante«.
»Ich werde endlich mal Birdie besuchen. Sie lädt uns ja schon ewig ein. Ich bleibe ein paar Tage oder auch ein paar Wochen. Das habe ich noch nicht entschieden.«
»Wow. Das klingt nicht nach dir.«
»Was klingt nicht nach mir?«, sagte ich. Wie sah mich meine Tochter eigentlich – was klingt nach mir und was nicht?
»Etwas noch nicht entschieden zu haben. Du weiß immer, wo wir hingehen und warum und für wie lange.« Sie zuckte die Achseln. »Das habe ich gemeint.«
Ich legte meine Hand auf ihre. »Das hier ist was anderes.«
»Ich weiß«, sagte sie und zog ihre Hand nicht weg, wasmir das Herz aufgehen ließ. Sie sah ein Poster des Auburn-Baseball-Teams an, der Spielplan war in einer Ecke des eingerissenen Papiers abgedruckt.
»Wie geht’s Chad?«, fragte ich und deutete auf das Poster. Ihr Freund spielte für das Team.
Sie lächelte und ließ meine Hand los, um mit beiden Armen eine große, offene Geste zu machen. »Prima. Ich finde es furchtbar, dass er den ganzen Sommer in der blöden Cape-Cod-Liga ist, aber … er ist toll.«
Ich beugte mich vor und umarmte sie lange. »Ich muss mich auf den Weg machen, Lil, aber ich bin nur dreieinhalb Stunden Fahrt entfernt. Bitte besuch mich, wenn du mal eine Pause brauchst oder einfach
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