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Die Schwere des Lichts: Roman (German Edition)

Die Schwere des Lichts: Roman (German Edition)

Titel: Die Schwere des Lichts: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patti Callahan Henry
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Sicher, er warf mit Gegenständen um sich, und manchmal fluchte er, dass mir Hören und Sehen vergingen, aber … die Wut verflog, als wäre nie etwas gewesen. Als ob der freundliche Mann den wutentbrannten gar nicht kennen würde.
    Aber ich kannte natürlich beide Männer und lebte mit ihnen.
    »Und«, fragte Sadie, und ich konnte hören, dass Alison Krauss aus ihrem CD-Spieler sang, »wie hat Rusty die Nachricht aufgenommen, dass du fährst?«
    »Gut. Natürlich wollte er nicht, dass ich fahre, aber er hatte Verständnis.«
    Ich wusste selber nicht genau, warum ich meine beste Freundin anlog. Vielleicht, weil jemand eine Begebenheit nicht wirklich verstehen kann, der nicht dabei war. Genausogut kann man erklären, dass man einen Geist gesehen oder Stimmen gehört hätte – das kann auch nur jemand verstehen, der so etwas auch gehört oder gesehen hat. Sogar ich zweifelte manchmal an meinem Wissen, wie jemand, der eine Nahtoderfahrung anzweifelt.
    In Rusty sind dunkle Stellen, die nur ich je gesehen habe, und die kann ich niemandem erklären, der nur das Licht kennt. Wir alle haben dunkle Abgründe in uns, sagte ich mir.
    »Gott, ist das heiß«, erklang Sadies Stimme in meinem Headset. Ich stimmte zu.
    Die Sommersonne von Alabama war kein freundlicher Gefährte, sondern ein stechendes, schwüles, forderndes Wesen, das einem im Nacken saß. Hitze schimmerte durch die Kiefernbäume, stieg in Wellen vom Asphalt auf. Die Klimaanlage meines Wagens lief vergeblich auf Hochtouren. Meine schweißnassen Hände rutschten vom lederbezogenen Lenkrad ab, als ich die Ausfahrt auf die College Street nach Auburn hinein nahm. Wir hatten beschlossen, Lil auf dem Weg nach Bayside einen Besuch abzustatten.
    »Sadie«, sagte ich ins Handy, »ich lege jetzt aus Ehrerbietung auf, wenn wir am War Eagle Club vorbeifahren.«
    Ihr Lachen war laut und voller Erinnerungen. »Gut, ich folge dir zu Lil.«
    Ich fuhr auf das niedrige Betongebäude zur Rechten zu, verlangsamte, lächelte und hupte, Sadie ebenfalls. Das kaputte Schild über der Tür war dasselbe wie vor fünfundzwanzig Jahren und kündigte die Band an, die am Wochenende hier spielen würde. Der Parkplatz bestand aus Staub und dem verschütteten Bier von Generationen von Studenten. Ein Kleinbus stand dort geparkt, auf die Seitewaren die Worte »Kein Alkohol am Steuer/War Eagle Club Shuttle« gemalt. Den Bus hatte es vor fünfundzwanzig Jahren noch nicht gegeben.
    Einer Eingebung folgend, trat ich auf die Bremse und bog nach rechts auf den Parkplatz ab. Sadie hupte und fuhr mir fast hintendrauf, dann bog sie ein Stück weiter auf den Parkplatz bei Arby’s ein, machte eine Kehrtwende und kam zurück. Ich stand wartend an mein Auto gelehnt. Die Hitze lag drückend wie eine Hand auf meinem Kopf.
    Sadie sprang aus dem Wagen. »Was hast du vor?«
    Ich nickte in Richtung Bar. »Wie wär’s mit einem Bier?«
    »Im Leben nicht.«
    »Komm schon, nur eines.«
    Sie lachte. »Genau das hast du immer gesagt, wenn ich für einen Test zu lernen oder ein Referat vorzubereiten hatte und du mit mir ausgehen wolltest. Nur eines, hast du gesagt. Und es blieb nie nur bei dem einen.«
    »Diesmal schon.«
    »Ich wette, es ist nicht mal geöffnet. Auf dem Parkplatz ist keiner außer uns. Und es ist erst vier Uhr nachmittags. Was werden die sagen, wenn zwei Frauen in biederen Sommerkleidern und Sandalen auf ein Bier reinkommen?«
    »Ist mir egal. Dir nicht?«
    »Doch«, sagte Sadie. »Es ist mir egal, und danke, dass du mich daran erinnerst.«
    Wir bahnten uns den Weg über den Parkplatz, an Zigarettenstummeln, leeren Jim-Beam-Flaschen und zerbeulten Bierdosen vorbei – das war eben College. Ich stieß die rot angestrichene Holztür auf und wartete, bis sich meineAugen an das schummerige Licht und meine Nase an den schalen Geruch eines wilden Abends gewöhnt hatten. Bei geschlossenen Augen, wenn ich nicht meinen Körper, mein Gesicht oder meine Kleidung sehen würde, könnte ich mich wieder wie achtzehn fühlen, unbesiegbar, das ganze Leben mit all seinen Möglichkeiten noch vor mir, an die ich keinen Gedanken verschwendete, weil im Moment nur das wilde Dasein im Hier und Jetzt als junge Frau wichtig war. Damals hatte nur die unmittelbare Gegenwart gezählt: Welche Band spielte, wer neben mir in der Menge stand, eine Testnote, eine Berührung, ein Kuss – das alles war so wichtig.
    »Kann ich Ihnen helfen, meine Damen?«, sagte eine tiefe, männliche Stimme von innen.
    Sadie gab mir einen Stoß ins Kreuz

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