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Die Schwerelosen

Die Schwerelosen

Titel: Die Schwerelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valeria Luiselli
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seine eigene waren, zu verbergen suchte.
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    Mein Mann fragt mich, ob das stimmt, dass ich nach dem Sex an Schlaflosigkeit leide. Ich sage ihm: Manchmal. Und was machst du, wenn ich einschlafe? Ich umarme dich, ich höre dich atmen. Und dann?, beharrt er. Nichts, dann schlafe ich ein.
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    Während meiner zweiten Schwangerschaft habe ich nur geschlafen. In der 39. Woche haben mich die Wehen aufgeweckt. Mein Mann las an meiner Seite. Meine Hand legte die seine auf die Wölbung meines Bauchs. Spürst du?, fragte ich. Tritt er? Nein, jetzt kommt er. Die erste Geburt war ein Kaiserschnitt gewesen, weil ich nichts gespürt hatte, es waren einfach keine Wehen gekommen. Diesmal begann das Gefühl inder unteren Rückenpartie. Eine eisige Hitze. Dann, ausgehend von den Flanken, erschauderte und spannte sich die Haut. Ein eher geologisches als biologisches Phänomen: ein Beben, ein leichtes Aufbäumen, der ganze Bauch begann sich zu heben wie ein auftauchender Erdkörper, die Meeresoberfläche durchbrechend. Und der Schmerz, ein Schmerz, der eher einem Lichtblitz glich, ein Blitz, der einen Schweif hinter sich lässt, eine Spur, und sich so unbegreiflich auflöst, wie er sich dann erneut einstellt.
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    Merke: Owen ist in El Rosario, Sinaloa, geboren. Aber das hat keine Bedeutung. Er ist am 4. Februar 1904 geboren.
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    Kann ich nicht schlafen, gehe ich ins Kinderzimmer und setze mich in den Schaukelstuhl. Ich horche auf den langsamen Atem meiner beiden Kinder, er erfüllt das ganze Zimmer. Die Kleine ist auch an einem 4. Februar geboren. Der Mittlere an einem 4. Mai. Beide kamen an einem Sonntag zur Welt.
    *
    Enrico kannte Gilberto Owen nicht. Der hatte von 1928 bis 1930 in Manhattan gelebt, mitten in Harlems Renaissance und zu Anfang der Wirtschaftsdepression. Obwohl Owen Briefe, Tagebucheintragungen und eine Handvoll guter Gedichte aus dieser Zeit hinterlassen hat, ist wenig über seinen Aufenthalt in New York bekannt. Man weiß zum Beispiel, dass erin einem alten Harlemer Gebäude am Morningside Park gewohnt hat und dass zur gleichen Zeit, auf der anderen Seite des Parks, Lorca an
Dichter in New York
schrieb. Ein paar Straßen weiter begann Zvorsky mit seinem Poem
That
. Etwas weiter nördlich trat Duke Ellington im Club Mexico auf. Nach dem zu urteilen, was Owen über jene Etappe schrieb, hat man jedoch den Eindruck, dass er New York hasste und eher abgeschieden von all diesem Getriebe lebte. Vermutlich ist er höchstens ein, zwei Mal auf Lorca gestoßen, kein Mal auf Zvorsky und hat Duke Ellington nie spielen sehen.
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    Die erste Lieferung der vorgeblichen Transkription war ein voller Erfolg. Ich kam am Freitag mit einem Bündel Blätter ins Büro, die mit Word, in der Times New Roman, im 1,5-Zeilenabstand beschrieben waren. White las sie in meiner Anwesenheit und war außer sich, überzeugt, dankbar. Falls diese Übersetzung der Gedichte Owens tatsächlich von Zvorsky stammte, waren wir auf einen Schatz gestoßen. Er bat darum, das Originalmanuskript sehen zu dürfen. Ich musste es am Wochenende fabrizieren, mit Mobys Hilfe – er war die einzige mir bekannte Person, die das nötige Werkzeug für die Fälschung solcher Art von Objekten besaß. Moby kam mit einer Remington aus dem Jahr 1927 und altem Papier zu mir in die Wohnung. Gewissermaßen als Belohnung schliefen wir miteinander. Er sagte, er möge meine Brüste, auch wenn sie etwas klein seien.
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    Merke: Owen war blind, als er am 9. März 1952 in Philadelphia an einer Leberzirrhose starb. Er war so aufgeschwemmt, dass er Brüste bekommen hatte.
    *
    Wir haben einen Nachbarn, der Frösche züchtet. Und Kakerlaken aus Madagaskar, um seine Frösche zu füttern. Wir treffen ihn an der Haustür, und der Mittlere erzählt ihm, er habe einen Dinosaurier neben seinem Bett, er sei aus Schaumstoff, weil der aus Hartplastik kaputtgegangen sei.
    Lebendige Frösche sind besser, weil sie Mücken und Kakerlaken fressen.
    Der Junge schaut ihn aufmerksam an:
    Mein Dinosaurier frisst Moskitos und Frösche. Aber keine Kakerlaken, die findet er eklig.
    *
    Ich bin noch oft ins Büro von Detektiv Matías gegangen. Bei meinem zweiten Besuch haben wir im Verhörraum einen Kaffee getrunken, während er mich befragte und ich antwortete, überzeugt davon, dass am Ende ich mich als schuldig erweisen würde. Ich hatte ein schlechtes Gewissen wegen der Rechenmaschine die ich mit elf in der Nonnenschule geklaut hatte; es überfiel mich die Erinnerung an den Tag, als meine Mathematiklehrerin mir den

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