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Die Schwerelosen

Die Schwerelosen

Titel: Die Schwerelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valeria Luiselli
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Mund mit Seife auswusch, dabei anführte, sie könne mich unmöglich mit so einem Drecksmaul heimgehen lassen; die Bücher, die ich aus so vielen Bibliotheken hatte mitgehen lassen, lasteten auf mir; die Küsse,die ich dem Freund meiner Freundin gegeben hatte; die Küsse, die ich meiner Freundin gegeben habe; die angeblich von Zvorsky übersetzten Gedichte Owens erschlugen mich.
    Wie viele Whiskys hast du an dem Abend getrunken?
    Keinen, also einen halben, vielleicht drei Viertel vom Glas.
    Wie würdest du die Person beschreiben, die sich dir am Ausgang der Bar in den Weg gestellt hat?
    Schwarz. Halb lateinamerikanisch. Hispanisch mit afroamerikanischem Einschlag.
    Möchtest du noch etwas hinzufügen?
    Nein, danke.
    Detektiv Matías versprach, mich anzurufen, wenn der Fall aufgeklärt sei. Das würde ein paar Wochen, vielleicht Monate dauern.
    *
    Unser Nachbar bereitet seine Geburtstagsfeier Nummer 41 vor. Am Sonntag kauft er auf dem Markt von Sonora 41 Tiere und trägt Kisten, Aquarien und Käfige in den gemeinsamen Hof der Anwohner, vor den sprachlosen Nachbarn, die sich nach und nach wieder dort einfinden, leicht beschickert von ihren Familienessen. Ich betrachte sie vom Wohnzimmerfenster aus. Die Kinder bewundern den Nachbarn. Er wird die Tiere zu seinem Geburtstag in einem Wald frei lassen, ein Tier für jedes Lebensjahr: drei Frösche, drei Schildkröten, zwei Vögel, 32 Kakerlaken aus Madagaskar (Gromphadorhina portentosa) und eine Eidechse. Die ganze Nachbarschaft ist zu dem Fest eingeladen. Er berichtet von einer Reisenach Thailand, einem buddhistischen Ritual, einem Tempel, einer Frau, gut 30 Tieren, aber ich höre nicht zu. In der Mitte des Gemeinschaftspatios kopulieren zwei Riesenkakerlaken in einem Aquarium.
    *
    Nachdem er mir mit der Remington ausgeholfen hatte, fühlte Moby sich so frei, immer öfter in meine Wohnung zu kommen. Er brachte ganze Tage dort zu, lag in meiner Badewanne, kochte, goss die Pflanzen und trank mit Dakota Kaffee. Ich begann, Moby zu hassen. Er roch schlecht. Er hinterließ Haare auf meiner Seife. Ich flüchtete mich schließlich in einen Sessel bei Enrico im zehnten Stock und ging erst wieder zurück in meine Wohnung, wenn ich sicher war, dass Moby sie verlassen hatte.
    *
    Gestern hat mich mein Mann gefragt, ob er Haare auf der Seife hinterlässt.
    *
    Vor ein paar Jahren habe ich einmal ein Foto von Gilberto Owen gemacht. Das erzählte ich Enrico. Es war eine ausgeklügelte Lüge, die ich mir selbst so oft wiederholt hatte, dass sie bereits zum Erlebnisrepertoire gehörte, nicht zu unterscheiden von irgendeiner anderen Erinnerung. Natürlich hatte ich Gilberto Owen nie gesehen, und erst recht nicht als er jung war, und fotografiert hatte ich ihn schon gar nicht.Das aber erzählte ich Enrico: Ich saß in einem libanesischen Kaffee in der Donceles-Straße in der Altstadt von Mexico City, und da ging Owen unter einem riesigen schwarzen Regenschirm vorbei. Es war nach fünf Uhr nachmittags. Gerade war ein Sommergewitter hereingebrochen, eines von denen, die es nur in Mexico oder Bombay gibt. Nun füllten sich die Straßen im Zentrum erneut mit fliegenden Händlern, Touristen, Kakerlaken und jenem traurigen Pilgerstrom von Bürohengsten, die eilig in ihre kleinen Büros zurückstreben, befriedigt und schuldig geworden – die Hemden zerknittert, die Haut fettig –, nach einem kurzen, süßen Intermezzo in einem der Stundenhotels des Viertels. Ich erzählte Enrico davon und bereute es sofort. Die Donceles-Straße einem Ausländer zu beschreiben, hat etwas Pseudoliterarisches, das mir peinlich ist. Doch Enrico nickte, gefesselt von meinem Bericht, und ich fuhr, kühn geworden, fort: Ich saß schon eine geraume Zeit im libanesischen Café und wartete darauf, dass es aufhörte zu regnen, las inzwischen in einer Schulausgabe von Rousseaus
Meditationen
und beobachtete eine Gruppe alter Männer, die Kaffee tranken und schweigend Domino spielten. Ich war an einem Rousseau’schen Satz hängen geblieben, der vielleicht kunstfertiger als vernünftig war, es ging um das Missgeschick, es sei ein Lehrer, dessen Lehren uns zu spät erreichten, um uns wirklich nützlich sein zu können. Er erinnere sich an diese Meditation, sagte Enrico. Ich hatte, so erzählte ich, eine Pentax dabei, die ich in einem der Fotoläden in der Straße hatte reparieren lassen, und machte eher aus Langeweile als aus wirklichem Interesse ein paarFotos von den Alten. Träge Schüler des Missgeschicks, gab Enrico noch

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