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Die Schwerelosen

Die Schwerelosen

Titel: Die Schwerelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valeria Luiselli
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und seinen Schreibtisch setzte – ich war oft genug bei ihm gewesen, um nicht mehr im Verhörraum empfangen zu werden. Ich habe nur eine Frage. Er hörte mir zu.
    Was passiert, wenn jemand etwas veröffentlicht und behauptet, eine andere Person hätte es geschrieben?
    So was wie ein literarischer Dunkelmann? (Er benutzte das Wort
ghostwriter
, es lag also keine emotionale Wertung dar in.)
    So ungefähr.
    Ich weiß nicht. Ich bin kein großer Leser. Aber letztes Weihnachten hat mir meine Tochter
Der Malteser Falke
geschenkt. Haben Sie das gelesen?
    *
    Der Mittlere spricht mit dem Hausgespenst. Erzählt mir davon, während wir gemeinsam das Baby baden. Er macht den Kopf der Kleinen mit einem Schwamm nass, während ich den ganzen Körper mit neutraler Seife abreibe. Wir wissen, dass wir uns an etwas sehr Fragilem zu schaffen machen. Falte um Falte sehr zarten Fleischs.
    Weißt du was?
    Was?
    Ich hab keine Angst mehr vor Mitohnegesicht.
    Wie schön.
    Mach dir keine Sorgen, Mama. Mitohnegesicht wird über uns wachen, wenn Papa nach Philadelphia geht.
    Wie kommst du darauf, dass Papa nach Philadelphia geht? Wo ist denn Philadelphia?
    *
    Mein Mann hat einen Brief von einer Frau bekommen. Ich mache ihn auf, lese ihn zuerst. Vor ein paar Jahren hätten wir vielleicht gemeinsam darüber gelacht: Wir hätten die unverhältnismäßige Syntax derjenigen Frauen analysiert, die irgendeine Art von vergangenem Glück verkaufen; dann hätten wir uns betrunken und in der Küche gevögelt und eine Nacht lang so getan, als hätten wir keine Vergangenheit. Immer aber wählen wir, denn auf irgendeine Weise wählen wir das, Anfänge vom Ende einzuüben, Vorbeben.
    Ich nehme an, das ist normal. Dass der Tag kommt, an dem die ehemaligen Freundinnen deines Mannes sich auf die Beine schauen, ein wenig weinen, sich ein Paar Netzstrümpfe anziehen und ihrer ersten Liebe einen Brief schreiben. Nachts, wenn der eigene Mann und die Kinder schon schlafen, legen sie vielleicht eine alte Platte auf. Sie betrinken sich auf bescheidene Weise. Sie schreiben Briefe mit einer verzweifelten, verwirrten Grammatik; unterbrochene Zeilen, wie Krampfadern an den Beinen. Am nächsten Morgen gehen sie zur Yogastunde und färben sich das Haar flammend rot. Vielleicht lassen sie sich eines Tages ein Spinnentattoo auf den Bauch machen. Wahrscheinlich hat dieser erste Freund jahrelang mit ihnen in Briefkontakt gestanden, sodass sie sich frei fühlen, wann und wie auch immer einen Brief zu schreiben und ihre Portion verlorener Jugend einzufordern, ihrGlück mit Tropfenzähler. Und die Männer, falls sie mit der eigenen Frau nicht glücklich sind, werden darauf eingehen. Und wenn die Frau sich noch nicht für ihren Körper schämt, wird sie den Mann in ein Hotel einladen. Ein Hotel in Philadelphia.
    *
    Seit ein paar Tagen sind im Haus gegenüber Arbeiter beschäftigt. Sie hebeln den alten Dielenboden heraus und ersetzen ihn durch Parkett. Sie hören den ganzen Tag lang Radio. So erfahre ich, was draußen in der Welt passiert. In Asien hat die Erde gebebt; in Nepal hat es Scheinwahlen gegeben; in Mexico City wird ein neuer Tunnel gebaut. Die Arbeiter wissen bereits, um wie viel Uhr ich der Kleinen in einem Schaukelstuhl am Fenster die Brust gebe. Sie schauen von der Dachterrasse runter, aufgereiht wie Rekruten, erwarten ein Gelage, zu dem sie nicht geladen sind. Ich lasse die Jalousie runter und knöpfe die Bluse auf.
    *
    Merke: (Owen an Salvador Novo, Philadelphia, 1949) Im Sommer bekommen die Frauen hier ein paar Paricutinitos, die sie Brüste nennen; es handelt sich um verstörende Dinge, die sich manchmal als das herausstellen, was man
cheaters
nennt und in jedem Geschäft für weibliche Mode erwerben kann.
    *
    Mein Mann hat eine zukünftige Geschichte in Philadelphia, von der ich nichts weiß. Eine Geschichte, die sich vielleicht im Hintergrund seines Films abspielt. Ich will nichts mehr darüber wissen. Ich würde unweigerlich und a priori Teile eines bereits niedergeschriebenen, aber noch nicht gelebten Lebens zensieren, in denen es um eine Frau in einem Hotel geht, eine selbstgewisse Frau, die beim Ficken stöhnt.
    Mein Mann schreibt darüber und denkt, ich merke nichts.
    *
    Beide Toiletten im Haus sind verstopft. Zuerst war es die unten. Wenn man an der Kette zieht, läuft das Wasser über. Überall Kacke. Mein Mann entstopft das Klosett, überschwemmt das Bad mit Chlor, bearbeitet den Boden frenetisch mit einem Schrubber. Hilft alles nichts. Später ist es die

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