Die Schwerelosen
zurückzukehren, in der ich so oft gestorben bin, hat etwas von einerPilgerfahrt zum Friedhof, nur bringe ich keine Blumen zum Grab eines Verwandten, klage auch nicht vor dem Grab eines unbekannten Kindes, sondern gehe dorthin, um mich mit den Männern und Frauen zu treffen, die ich niemals war, zugleich aber niemals hinter mir lassen konnte.
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Die Metro mit ihren vielen Haltestellen, ihren Havarien, den plötzlichen Beschleunigungen, ihren dunklen Zonen könnte in jenem anderen Roman als Zeitschema dienen.
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Die Metro brachte mich den toten Dingen näher; dem Tod der Dinge. Eines Tages, als ich mit der Linie 1 aus dem Süden der Stadt nach Hause fuhr, sah ich Owen erneut. Diesmal war es anders. Diesmal war es nicht eine äußerliche Wahrnehmung, die durch etwas mir Fremdes hervorgerufen wurde, wie damals nachts in der Bar in Harlem, auch nicht eine flüchtige Impression, wie es mir schon andere Male in der Metro widerfahren war. Es war vielmehr so etwas wie ein Hieb in meinem Innern, die schlagende Gewissheit, vor etwas Schönem und zugleich Schrecklichem zu stehen. Ich schaute aus dem Fenster – nichts außer dieser dichten Dunkelheit der Tunnel –, als sich von hinten ein anderer Zug näherte und ein paar Momente lang genauso schnell wie mein Zug fuhr. Ich sah ihn dort sitzen, und zwar in der gleichen Stellung wie ich, den Kopf ans Waggonfenster gelehnt. Und danach nichts. Sein Zug beschleunigte, und vor meinen Augenzogen viele andere Körper, verschwommen und geisterhaft, vorbei. Als es wieder dunkel war hinter den Scheiben, sah ich im Glas diffus mein eigenes Bild. Aber es war nicht mein Gesicht allein, es war mein Gesicht, das seine überlagernd, als sei dessen Spiegelung ins Glas eingelassen, und als spiegelte ich mich jetzt in diesem im Fenster meines Waggons gefangenen Double.
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Ein horizontaler Roman, vertikal erzählt. Ein Roman, der von außen geschrieben werden muss, damit man ihn von innen heraus lesen kann.
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Selbstverständlich gibt es viele Tode im Laufe eines Lebens. Die meisten Leute merken nichts davon. Sie glauben, einmal zu sterben, und das ist es dann. Aber man muss nur ein wenig achtgeben, dann stellt man fest, dass man immer mal wieder stirbt. Das ist keine poetische Sprechweise. Ich sage nicht, die Seele hie und die Seele da, sondern, dass man eines Tages über die Straße geht und von einem Auto überfahren wird; ein andermal schläft man in der Badewanne ein, und das war’s; und wieder ein anderes Mal ist es ein Sturz auf der Treppe samt Schädelbruch. Die meisten Tode sind unwichtig: Der Film läuft weiter. Es ist nur so, dass es dabei einen allgemeinen Schwenk gibt, auch wenn er kaum merkbar ist und die Folgen oft nicht unmittelbar eintreten. Ich begann in Manhattan zu sterben, im Sommer 1928. Natürlichhat keiner außer mir etwas von meinen Toden gemerkt – die Leute sind zu sehr mit ihrem eigenen Leben beschäftigt, um auf die kleinen Tode der anderen zu achten. Ich bemerkte sie, weil ich nach jedem Tod Fieber bekam und an Gewicht verlor.
Ich wog mich jeden Tag, um festzustellen, ob ich am Tag zuvor gestorben war. Und obwohl mir das nicht so oft widerfuhr, verlor ich in einer beunruhigenden Geschwindigkeit Pfunde (ich habe nie erfahren, wie viel das in Kilo war). Es war nicht so, dass ich dünner wurde. Ich verlor nur an Gewicht. So als ob sich mein Inneres entleerte, aber meine äußere Form intakt bliebe. Jetzt zum Beispiel bin ich ein Fettsack mit Busen, wiege aber nur drei Pfund. Ich weiß nicht, ob das bedeutet, dass mir noch drei Tode bleiben, als sei ich eine Katze, die rückwärts angezählt wird. Ich glaube das nicht. Ich glaube, der nächste Tod ist derjenige, welcher.
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Ich begleitete Dakota zum Friedhof in Queens, der gleich bei ihrem Haus liegt. Wir wollten einen Blumenstrauß für Lucky Luciano niederlegen, ein Mafioso, mit dem sie angeblich entfernt blutsverwandt war. Luciano hatte man 1929 mit einem Messer ins Gesicht gestochen, wobei er ein Auge verlor. Dakota erzählte mir die Szene mit geradezu literarischer Genauigkeit, während wir die langen, mit Fotos und Lilien gesäumten Wege des Friedhofs entlangspazierten. Drei Männer hatten ihn mit gezücktem Revolver in eine Limousine gezerrt und ihm mit einem Messer das Gesicht versehrt, ihn aberdann doch nicht getötet. An einem Strand von Long Island warfen sie ihn hinaus. Lucky Luciano war zu Fuß zum nächstgelegenen Hospital gegangen, die Hand vor der Höhle des zerstörten Auges. Die Geschichte
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