Die Schwert-Legende
den Begriff ›stumme Schreie‹ gegeben hatte, dann traf er hier zu. Yakup hatte den Eindruck, als wollten ihm diese Wesen ihre Qual entgegenrufen, ohne es jedoch schaffen zu können. Er hob sein Schwert an. Es konnte das beste sein, wenn er sie erlöste. Unter den Köpfen schwebten die Körper wie seichte Nebelstreifen im Wind. Mit einem Hieb würde er mehrere Köpfe erwischen können und Shimada gleichzeitig zeigen, daß es so einfach nicht war, ihn zu vernichten.
Schräg schlug er zu — und hieb ins Leere!
Die Gesichter verschwanden innerhalb von Bruchteilen von Sekunden. Sie waren eingetaucht in die Schwärze und drangen aus ihr auch nicht mehr hervor.
Aus — vorbei…
Der Ninja holte tief Luft. Er wartete auf eine Reaktion des Dämons, die wieder nicht erfolgte, denn Shimada ließ sich Zeit. Erst nach einer Weile hörte er wieder seine Stimme.
»Hast du sie gesehen, Ninja? Es sind diejenigen, die sich gegen mich gestellt haben. Jetzt sind sie in meiner Festung gefangen. Sie leben, aber sie sind schon tot.«
»Weshalb hast du sie mir gezeigt?«
»Ich wollte, daß du siehst, welches Schicksal auch dir blühen wird, wenn du mir nicht gehorchst.«
»Ich bin nicht sie.« Sein Optimismus war nach wie vor ungebrochen, denn er dachte daran, daß er nicht nur sein Schwert besaß. Auch andere Waffen verliehen ihm eine nicht zu unterschätzende Kraft, wie eben die Wurfsterne, die Krone der Ninja und auch die beiden Handschuhe, mit denen er die großen Attacken abwehren konnte.
»Wir werden sehen…«
Shimadas Stimme verklang.
Yakup war wieder allein, aber es tat sich etwas um ihn herum. Bewegungen selbst konnte er nicht erkennen. Er spürte nur das leise Vibrieren. Die Dunkelheit stand nicht mehr so dicht wie sonst. Sie war aufgelockert worden.
Durch was?
Plötzlich drückte etwas gegen seinen Rücken. Es war eine für ihn nicht erkennbare Kraft, der er allerdings nicht entgegensetzen konnte. Yakup wurde nach vorn gepreßt, verlor für einen Moment die Übersicht und fand sich plötzlich woanders wieder. Da waren Lichter… Sie blinkten nicht, sie wirkten wie Laternen im Nebel, die in einer nicht mehr meßbaren Ferne schimmerten und bleiche Grüße herüberschickten.
Ein unheimliches, geisterhaftes Licht, über dessen Ursache sich Yakup nicht im klaren war.
Das Licht nahm an Größe zu. Nicht Yakup ging ihm entgegen, die Lampen schwebten auf ihn zu und beleuchteten plötzlich seine Umgebung. Er verstand es nicht, er konnte es sich nur so erklären, daß die Magie der Festung wieder einmal zugeschlagen und dafür gesorgt hatte, daß er sich in einem anderen Teil befand. Er war dort förmlich hineingedrängt worden, stand möglicherweise zwischen den Mauern, die auch nach außen wiesen.
Yakup sah, wie sich die Finsternis auflöste. Auch dies kam ihm wie ein Phänomen vor.
Als würde schwarzer Nebel in die Höhe getrieben oder ein Vorhang angehoben, so und nicht anders sah dieses Phänomen aus. Eine Halle erschien.
Vier hohe Wände umgaben ihn. Fenster sah er nicht, nur dicke Mauern, die mit Zeichnungen verziert waren. Schrecklich bunte Bilder irgendwelcher dämonischer Malereien.
Monster, Menschen, Tiere, manchmal alle drei zusammen, bildeten die Motive.
Yakup kannte sich in der japanischen Mythologie aus, ohne allerdings sämtliche Namen der schrecklichen Geschöpfe zu wissen. Sie alle waren Hilfsdämonen, die einem Höheren zur Seite standen, ihm dienten und ihn bedienten.
Lebten sie, oder blieben sie ruhig?
An den Wanden tat sich vorläufig nichts, und auch in der großen Halle war er das einzige Lebewesen.
Unter seinen Füßen befand sich jetzt ein harter Steinboden, auf dem seine Schritte Echos hinterließen, wenn er ihn mit den Sohlen berührte. Echos, die geisterhaft hohl durch die Halle klangen und irgendwo im Hintergrund verwehten.
Was sollte das?
Yakup durchschritt die Halle. An der schmaleren Seite vor sich entdeckte er eine Tür.
Sie bestand aus Holz, das mit grünem Japanlack überstrichen worden war und einen spiegelartigen Glanz bekommen hatte. Die Tür lockte ihn. Er wußte nicht, was er dahinter finden würde.
Vielleicht die normale Welt, vielleicht auch einen Abgrund, es konnte alles sein.
Yakup sah keine Klinke und keinen Knauf. Einen Riegel oder Balken entdeckte er ebenfalls nicht.
War die Tür offen?
Prüfend wog er sein Schwert in der Hand, als er das rechte Bein hob und mit der Sohle gegen die für trat.
Ein dumpfes Echo schwang ihm entgegen. Gegendruck bekam er nicht.
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