Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
gedacht hatte. Ich spürte ihre Wärme und Stärke, lehnte meine Wange an ihre warme Haube und genoß, wie mich ihre Locken am Hals kitzelten. Ich atmete tief ihren wunderbaren Kindergeruch ein.
»Erzähl«, befahl sie und setzte sich zurück, um sich meine Geschichte über das Fest im Wald anzuhören.
|242| Wir verbrachten eine wunderbare Woche miteinander: George, die Kinder und ich. Wir machten Spaziergänge im Sonnenschein und Picknicks auf den Heuwiesen, wo schon wieder zartes neues Gras wuchs. Wenn wir außer Sichtweite der Burg waren, wickelte ich den kleinen Henry aus den Windeln und ließ ihn frei in der warmen Luft strampeln. Ich spielte Ball mit Catherine und Verstecken.
Am Abend bevor wir zum Hof zurückkehren sollten, konnte ich mein Essen kaum herunterzwingen, so übel war mir vor Traurigkeit. Ich brachte es nicht fertig, ihr zu sagen, daß wir fortreiten müßten, sondern stahl mich in der Morgendämmerung wie eine Diebin aus dem Haus und wies die Kinderschwester an, Catherine beim Aufwachen zu sagen, ihre Mutter würde so bald wie möglich wiederkommen, und sie sollte ein braves Mädchen sein und gut auf Eichi aufpassen. Bis Mittag ritt ich in einem Nebel der Trauer und bemerkte gar nicht, daß es seit unserem Aufbruch regnete, bis George endlich sagte: »Suchen wir uns, um Himmels willen, endlich ein trockenes Plätzchen und etwas zu essen.«
Wir hatten vor einem Kloster angehalten, wo die Glocke gerade zur None läutete. George schwang sich vom Pferd und half mir aus dem Sattel. »Hast du die ganze Zeit geweint?«
»Ich glaube schon«, antwortete ich. »Ich darf gar nicht daran denken, wie …«
»Dann denke nicht daran«, meinte er knapp. Er trat einen Schritt zurück, während einer unserer Leute an der Tür läutete und uns dem Türhüter ankündigte. Als sich das große Tor öffnete, führte mich George rasch in den Klosterhof und die Treppe hinauf ins Refektorium. Wir waren ein wenig zu früh. Einige Mönche waren noch damit beschäftigt, Zinnteller auf den Tisch zu stellen, dazu Zinnkrüge und Becher für Bier oder Wein.
George schnipste mit den Fingern, und ein Pater eilte fort, um uns Wein zu holen. Dann gab mir mein Bruder den kühlen Metallbecher in die Hand. »Trink das«, gebot er mir mit fester Stimme. »Und hör auf zu weinen. Du darfst heute abend bei Hof auf keinen Fall blaß und mit rotgeweinten Augen auftauchen. |243| Wenn dich eine Woche mit deinen Kindern so häßlich macht, lassen sie dich nie wieder fort. Du kannst eben nicht tun und lassen, was du gern möchtest.«
»Zeig mir eine Frau auf der Welt, die tun und lassen kann, was sie gern möchte«, erwiderte ich zornig, und er mußte lachen.
»Ich kenne keine«, erwiderte er. »Wie froh ich bin, daß wir Männer sind, der kleine Henry und ich.«
Wir kamen erst am Abend in Windsor an. Der Hof war im Begriff, auf die Staatsreise aufzubrechen. Nicht einmal Anne hatte Zeit, um mich gründlich zu mustern. Sie war emsig mit Packen beschäftigt. Ich sah, wie zwei neue Gewänder in ihrer Truhe verschwanden.
»Was ist das denn?«
»Geschenke vom König«, erwiderte sie knapp.
Ich nickte schweigend. Sie warf mir ein schiefes Lächeln zu. Ich ging zur Bank am Fenster und schaute ihr zu, wie sie einen Umhang über alles breitete und dann ihre Zofe rief, die die Truhe zuschließen sollte. Als ein Träger die Truhe fortgeschleppt hatte, sagte Anne mit trotziger Miene: »Na und?«
»Was ist hier los?« fragte ich. »Neue Gewänder?«
»Er macht mir den Hof«, antwortete sie, hatte dabei artig die Hände auf dem Rücken gefaltet. »Ganz offen.«
»Anne, er ist mein Liebhaber.«
Sie zuckte die Achseln. »Du warst ja nicht da, oder? Du hattest dich nach Hever abgesetzt, hast dich mehr nach deinen Kindern als nach ihm gesehnt. Du warst nicht gerade« – sie hielt inne – »heiß auf ihn.«
»Und du bist das?«
Sie lächelte. »Es liegt diesen Sommer eine gewisse Hitze in der Luft.«
Ich biß die Zähne zusammen, versuchte meine Wut zu zügeln. »Du solltest sein Interesse an mir wachhalten, nicht ihn mir abspenstig machen.«
Sie zuckte wieder die Achseln. »Er ist ein Mann. Es ist immer leichter, das Interesse eines Mannes zu wecken, als ihn abzuweisen.«
|244| »Das hast du ja offenbar geschafft, wenn er dir solche Geschenke macht. Du bist bei Hof aufgestiegen. Jetzt bist du die Favoritin.«
Sie nickte und lächelte selbstzufrieden.
»Und das alles hast du getan, obwohl er mein Liebhaber ist.«
»Man hat es mir
Weitere Kostenlose Bücher