Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
denken, er könne sich nicht beherrschen. Er möchte alle glauben machen, daß er Anne zum Besten Englands gewählt hat, nicht aus purer Wollust.«
Ich warf einen unruhigen Blick auf den Diener.
»Mach dir keine Sorgen wegen Joss«, meinte George. »Er ist zum Glück ziemlich taub. Nicht wahr, Joss?«
Der Mann wandte nicht den Kopf.
»Oh, nun gut, laß uns allein«, befahl George. Der Mann packte immer noch unverdrossen weiter.
»Trotzdem solltest du vorsichtig sein«, empfahl ich.
George erhob die Stimme. »Laß uns allein, Joss. Du kannst später zu Ende packen.«
|345| Der Mann fuhr zusammen, schaute sich um, verneigte sich vor George und mir und ging aus dem Zimmer.
George lümmelte sich neben mir aufs Bett. Ich zog seinen Kopf in meinen Schoß und lehnte mich bequem an das Kopfende.
»Meinst du, es wird je wahr?« fragte ich. »Man könnte meinen, wir planten diese Hochzeit schon seit hundert Jahren.«
Er hatte die dunklen Augen geschlossen, aber jetzt riß er sie auf und schaute mich an. »Gott weiß«, antwortete er, »Gott weiß, was es gekostet hat, wenn es einmal soweit ist: das Glück einer Königin, die Sicherheit des Thrones, den Respekt des Volkes, die Heiligkeit der Kirche. Manchmal scheint es mir, als hätten du und ich in unserem Leben nichts anderes getan, als für Anne zu arbeiten, und ich weiß nicht einmal, was für uns dabei herausgekommen ist.«
»Das sagst du, der Erbe einer Grafschaft? Zweier Grafschaften?«
»Ich wollte einen Kreuzzug gegen die Ungläubigen unternehmen«, sagte er. »Dann zu meiner wunderschönen Ehefrau zurückkehren, die mich für meinen Heldenmut anbeten würde.«
»Und ich wollte ein Hopfenfeld und einen Apfelhain und eine Schafweide«, meinte ich.
»Wir Narren«, erklärte George und schloß die Augen.
Innerhalb weniger Minuten war er eingeschlafen. Ich hielt ihn sanft umfangen und beobachtete, wie sich sein Brustkorb hob und senkte, schloß ebenfalls die Augen und fiel in leichten Schlummer.
Noch halb im Traum hörte ich, wie die Tür aufging. Es war nicht Georges Diener oder Anne. Die Klinke wurde leise heruntergedrückt, und dann streckte Jane, Georges Frau, inzwischen Lady Jane Rochford, den Kopf ins Zimmer.
Sie schreckte nicht zusammen, als sie uns auf dem Bett sah, und ich – immer noch halb im Schlummer und zur Reglosigkeit erstarrt, weil ich ihre Verschlagenheit fürchtete – regte mich nicht. Ich beobachtete sie aus halbgeschlossenen Augen.
Sie stand still da, nahm jede Einzelheit in sich auf: Georges |346| Kopf in meinem Schoß, meinen zurückgelehnten Kopf und die achtlos auf den Platz beim Fenster geworfene Haube, mein Haar, das mir wirr um das schlaftrunkene Gesicht hing. Sie schaute uns an, als sammelte sie Beweisstücke. Und dann verschwand sie so leise, wie sie gekommen war.
Sofort rüttelte ich George wach und legte ihm die Hand auf den Mund, als er aufschrak.
»Pst. Jane war hier. Sie könnte immer noch vor der Tür lauschen.«
»Jane?«
»Ja, großer Gott, Jane! Deine Frau Jane!«
»Was wollte sie?«
»Sie hat nichts gesagt. Sie ist einfach hereingekommen und hat uns angeschaut, wie wir schlafend zusammen auf dem Bett lagen, und dann ist sie wieder davongeschlichen.«
»Sie wollte mich nicht wecken.«
»Vielleicht«, meinte ich ungewiß.
»Was ist los?«
»Sie sah – seltsam aus.«
»Sie sieht immer seltsam aus«, sagte er achtlos.
»Ja, genau«, stimmte ich zu. »Aber als sie uns anschaute, da hatte ich das Gefühl …« Ich brach ab, ich konnte keine Worte dafür finden. »Ich habe mich irgendwie schmutzig gefühlt«, sagte ich schließlich. »Als täten wir etwas Unrechtes. Als wären wir …«
»Was?«
»Einander zu nah.«
»Wir sind Bruder und Schwester«, rief George aus. »Natürlich sind wir einander nah.«
»Wir haben zusammen auf dem Bett geschlafen.«
»Natürlich haben wir geschlafen!« schrie er. »Was sollten wir sonst zusammen auf dem Bett tun? Uns vielleicht lieben?«
»Sie hat mir das Gefühl vermittelt, daß ich mich nicht mehr in deinem Zimmer aufhalten sollte.«
»Nun, das solltest du aber«, erwiderte er resolut. »Wo sonst könnten wir reden, ohne daß gleich der ganze Hof und sie |347| noch dazu sich anschleichen und uns belauschen würden? Sie ist einfach nur eifersüchtig.«
Ich lächelte. »Und du denkst, sie zählt überhaupt nicht?«
»Keineswegs«, erwiderte er lässig. »Sie ist meine Frau. Ich komme schon mit ihr klar. Und wie sich die Mode in Sachen Ehe entwickelt, kann ich sie
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