Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
küssen und erzählen, daß alles nicht so wichtig ist. Es ist wichtiger als alles andere.«
Der König und ich blickten einander an. Er sah völlig entsetzt aus. »Bei Gott, ich wollte sie niemals verletzen.«
»Mit den Hemden?«
»Die Königin näht noch meine Hemden für mich. Anne wußte das nicht. Sie hat es sich sehr zu Herzen genommen.«
»Oh«, erwiderte ich.
»Ich werde der Königin mitteilen, daß sie keine Hemden mehr für mich nähen soll.«
|342| »Ich glaube, das wäre weise«, meinte ich sanft.
»Wenn sie sich beruhigt hat, würdet Ihr Anne dann bitte mitteilen, daß es mich sehr bekümmert, ihr solchen Schmerz zugefügt zu haben? Und daß derlei nie wieder vorkommen wird?«
»Ja«, erwiderte ich. »Das werde ich ihr sagen.«
»Ich lasse einen Goldschmied kommen und einen hübschen Schmuck für sie fertigen«, sagte er und begann sich an dem Gedanken zu erfreuen. »Wenn sie wieder glücklich ist, wird sie vergessen, daß dieser Zwist je stattgefunden hat.«
»Wenn sie sich erst einmal ausgeruht hat, wird sie schon wieder fröhlicher sein«, meinte ich hoffnungsvoll. »Es ist nicht leicht für sie, daß sie so lange darauf warten muß, Euch zu heiraten. Sie liebt Euch so sehr.«
Einen Augenblick lang sah er wieder wie der Jüngling aus, der in Katherine verliebt gewesen war. »Ja, deswegen reagiert sie sicher so stürmisch. Weil sie mich so sehr liebt.«
»Natürlich«, versicherte ich ihm. Auf keinen Fall sollte Henry darauf aufmerksam werden, wie überzogen Annes Wut war.
Er schaute sie zärtlich an. »Ich weiß. Ich muß Geduld mit ihr haben. Sie ist ja auch noch so jung und kennt die Welt fast gar nicht.«
Ich überlegte, wie jung ich gewesen war, als meine Familie mich in seine Hände gegeben hatte. Mir hatte man kein leise geflüstertes Wort des Protestes gestattet, geschweige denn einen Wutausbruch.
»Ich schenke ihr Rubine«, sagte er. »Das Symbol einer tugendhaften Frau, wißt Ihr.«
»Das wird ihr gefallen«, sagte ich mit Gewißheit.
Henry schenkte ihr Rubine, und sie belohnte ihn mit mehr als nur einem Lächeln. Eines Abends kam sie sehr spät und mit völlig in Unordnung geratenem Gewand in ihre Gemächer zurück, die Haube in der Hand. Ich hatte bereits geschlafen, denn ich blieb nie auf, wie sie es für mich getan hatte. Sie zog mir die Decke fort, um mich aufzuwecken, damit ich ihr Mieder aufschnüren konnte.
|343| »Ich habe gemacht, was du mir gesagt hast, und er war entzückt«, sagte sie. »Und ich habe ihn mit meinem Haar und meinen Brüsten spielen lassen.«
»Ihr seid also wieder Freunde«, meinte ich. Ich schnürte ihr das Mieder auf und zog ihr den Unterrock über den Kopf.
»Und Vater wird zum Grafen ernannt«, sagte Anne mit leiser Befriedigung. »Graf von Wiltshire und Ormonde. Ich werde Lady Anne Rochford, George wird Lord Rochford. Vater soll wieder nach Europa und Friedensverhandlungen führen, und unser Bruder Lord George soll als Botschafter mitgehen.«
Ich schnappte nach Luft angesichts dieser Fülle von Gunstbezeigungen. »Eine Grafschaft für Vater?«
»Ja.«
»Und George wird Lord Rochford! Das wird ihm gefallen. Und Botschafter!«
»Wie er es sich immer gewünscht hat.«
»Und ich?« fragte ich. »Was gibt es für mich?«
Anne ließ sich aufs Bett fallen und sich von mir die Schuhe und die Strümpfe von den Beinen streifen. »Du bleibst die Witwe Carey«, sagte sie. »Das andere Boleyn-Mädchen. Alles kann ich nicht schaffen.«
|344| Weihnachten 1529
Der Hof sollte Weihnachten in Greenwich residieren und die Königin dort mit allen Ehren empfangen werden. Anne sollte sich nicht zeigen.
»Was jetzt?« fragte ich George. Ich saß auf seinem Bett, während er sich auf die Bank beim Fenster gelümmelt hatte. Sein Diener packte die Truhen für seine Reise nach Rom, und ab und zu blickte George auf und rief ihm Anweisungen zu.
»Was jetzt?« Er wiederholte meine Frage.
»Man hat mich in die Gemächer der Königin beordert, und ich soll wieder in meinem alten Zimmer in ihrem Flügel des Palastes wohnen. Anne soll ganz allein in ihren Gemächern über dem Turnierplatz leben. Ich glaube, Mutter wird zu ihr ziehen, aber ich und alle anderen Hofdamen, wir müssen die Königin bedienen, nicht Anne.«
»Das muß kein schlechtes Zeichen sein«, meinte George. »Er erwartet, daß während der Weihnachtsfeiertage eine Menge Leute aus der Stadt kommen. Er kann es sich auf keinen Fall leisten, daß die Händler und Geschäftsleute aus der Stadt
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