Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
man Euch ein Zimmer richtet, wenn Ihr möchtet.«
Jeden Morgen gingen William Stafford und ich stundenlang spazieren. Die Kinder saßen auf ihren kleinen Ponys, die neben uns herliefen. Nach dem Essen nahmen wir die Tiere an den langen Zügel und ließen sie im Kreis im Schritt, Trab und Handgalopp gehen, während sich die Kinder wie die Kletten oben festklammerten.
|388| William war unendlich geduldig. Er achtete darauf, daß sie jeden Tag ein wenig mehr lernten. Ich hatte ihn im Verdacht, dafür Sorge zu tragen, daß sie auch ja nicht zu schnell lernten. Er wollte, daß sie am Ende des Sommers allein reiten konnten, aber bloß nicht früher.
»Habt Ihr kein Zuhause?« fragte ich ihn wenig freundlich, als wir eines Abends zur Burg zurückgingen und jeder ein Pony führte. Hinter den Zinnen ging die Sonne unter.
»Mein Vater lebt in Northampton.«
»Seid Ihr der einzige Sohn?« fragte ich.
Er mußte über diese Schlüsselfrage lächeln. »Nein, ich bin der zweite Sohn: zu nichts nutze, Mylady. Aber ich werde, wenn ich kann, einen kleinen Bauernhof kaufen, in Essex. Mir steht der Sinn danach, Landbesitzer und Eigentümer eines kleinen Gutes zu sein.«
»Woher nehmt Ihr das Geld?« fragte ich neugierig. »Ihr könnt doch im Dienst meines Onkels nicht sehr wohlhabend geworden sein.«
»Ich habe auf einem Schiff gedient und vor einigen Jahren ein wenig Preisgeld bekommen. Für den Anfang reicht es. Und dann suche ich mir eine Frau, die gern in einem hübschen Haus inmitten ihrer eigenen Felder lebt und weiß, daß nichts sie erreichen kann – nicht einmal die Macht der Prinzen oder die Boshaftigkeit der Königinnen.«
»Königinnen und Prinzen können einen immer erreichen«, erwiderte ich. »Sonst wären sie keine Königinnen und Prinzen.«
»Ja, aber man kann so winzig sein, daß man sie nicht interessiert«, erwiderte er. »Unsere Gefahr wäre Euer Sohn. Solange sie ihn als Thronerben betrachten, würden sie uns niemals aus dem Auge lassen.«
»Wenn Anne einen eigenen Sohn hat, gibt sie meinen wieder heraus«, sagte ich. Ohne es zu merken, war ich seinen Gedankengängen gefolgt, so wie ich mit ihm in Gleichschritt verfallen war.
Gerissen, wie er war, sagte er nichts weiter. »Besser noch, sie wird wollen, daß er so fern wie möglich vom Hof ist. |389| Er könnte bei uns leben, und wir könnten ihn als kleinen Landedelmann aufziehen. Das ist kein schlechtes Leben, vielleicht das beste, was es für einen Mann gibt. Ich mag den Hof nicht. In den letzten Jahren wußte man nie, woran man war.«
Wir erreichten die Zugbrücke und halfen den Kindern aus dem Sattel. Catherine und Henry rannten ins Haus, während William und ich die Ponys zum Stall führten. Ein paar Stallburschen kamen uns entgegen und nahmen sie uns ab.
»Kommt Ihr zum Abendessen?« fragte ich wie nebenbei.
»Natürlich«, erwiderte er, machte eine kleine Verbeugung und war verschwunden.
Erst als ich am Abend in meinem Zimmer kniete und betete, wurde mir klar, daß ich ihn mit mir hatte sprechen lassen, als wäre ich die Frau, die sich das hübsche Haus inmitten meiner eigenen Felder wünschte und William Stafford im Ehebett.
Liebe Mary,
wir kommen im Herbst nach Richmond und verbringen dann den Winter in Greenwich. Die Königin wird nie wieder unter demselben Dach weilen wie der König. Sie soll in Wolseys altes Haus, The More in Hartfordshire, ziehen. Der König wird ihr dort einen eigenen Hofstaat einrichten, so daß sie nicht behaupten kann, sie würde schlecht behandelt.
Du sollst nicht mehr ihr dienen, sondern mir allein.
Der König und ich, wir sind uns sicher, daß der Papst große Befürchtungen hegt, was der König der Kirche in England antun könnte. Wir sind zuversichtlich, daß er zu unseren Gunsten entscheidet, sobald im Herbst das Gericht wieder zusammentritt. Ich bereite mich auf eine Hochzeit im Herbst vor, die Krönung kurz danach. Es ist alles so gut wie abgemacht – gönne dem nichts, der dir nichts gönnt!
Onkel war sehr kühl zu mir, und der Herzog von Suffolk hat sich vollends gegen mich gewandt. Henry hat ihn diesen Sommer vom Hof fortgeschickt. Ich bin froh, daß man ihm eine Lektion erteilt hat. Zu viele Menschen beneiden und beobachten mich
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ständig. Ich möchte, daß du schon in Richmond bist, wenn ich eintreffe, Mary. Du darfst nicht zur Kö – zu Katherine von Aragon in The More gehen. Und du darfst nicht in Hever bleiben. All dies tue ich ebensosehr für deinen Sohn wie für mich, und
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