Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
andere.«
Er unterdrückte ein Lachen, als er das hörte, stritt aber nicht mit mir. Er ließ mich gehen. Dabei hätte ich mich gefreut, wenn er mir nachgelaufen wäre und mir versichert hätte, er sei gewiß nicht wie alle anderen Männer.
Ich ging in mein Zimmer hinauf und fand dort Anne vor, die, sprühend vor Erregung, vor dem Spiegel ihren Reithut zurechtrückte.
»Wir brechen auf«, sagte sie. »Komm und sage uns Lebewohl.«
Ich folgte ihr die Treppe hinunter, darauf bedacht, nicht auf die lange Schleppe ihres prächtigen Reitkleides aus rotem Samt zu treten.
Henry wartete vor der riesigen Doppeltür. Er saß schon im Sattel, und neben ihm tänzelte unruhig Annes dunkles Jagdpferd. Meine Schwester hatte den König absichtlich warten lassen.
Er lächelte. Er ließ ihr alles durchgehen. Zwei junge Männer sprangen vor, um ihr in den Sattel zu helfen, und sie kokettierte ein wenig mit ihnen, überlegte, wem von beiden sie diese Ehre gewähren sollte.
Der König gab das Zeichen zum Aufbruch, und sie zogen los. Anne blickte über die Schulter und winkte mir zu. »Sag der Königin, daß wir fort sind«, rief sie.
»Was?« fragte ich. »Du hast dich doch sicher von ihr verabschiedet?«
Sie lachte. »Nein. Wir sind einfach fort. Sag ihr, daß sie nun ganz allein ist.«
Liebend gern wäre ich hinter ihr hergerannt, hätte sie vom Pferd gezerrt und für diese Gehässigkeit geohrfeigt. Doch ich blieb auf der Türschwelle stehen, lächelte den König an und winkte meiner Schwester. Dann, als die Reiter und Wagen, die Nachhut und die Soldaten und der ganze Haushalt an mir vorbeigerattert waren, drehte ich mich um und ging langsam ins Schloß.
|384| Krachend fiel die Tür hinter mir zu. Es war sehr still. Die Wandteppiche waren abgehängt, man hatte einige Tische aus dem Großen Saal entfernt. Das Feuer im Kamin war heruntergebrannt. Niemand würde mehr neue Scheite darauf werfen und nach Ale rufen. Sonnenlicht strömte durch die Fenster. Staub tanzte in den Strahlen. Nie zuvor hatte ich einen königlichen Palast in einer solchen Stille erlebt. Stets war das Schloß von Lärm, Geschäftigkeit und Spiel erfüllt gewesen.
Ich ging die Treppe hinauf in die Gemächer der Königin. Meine Absätze hallten auf dem Steinboden wider. Ich klopfte an, und sogar das klang unnatürlich laut. Ich schob die Tür auf und glaubte einen Augenblick lang, der Raum sei leer. Dann sah ich sie. Sie stand am Fenster und blickte auf die Straße, die sich vom Schloß wegschlängelte. Sie konnte den Hof, der einmal ihr Hof gewesen war, beobachten. An der Spitze ritt der Mann, der einmal ihr Mann gewesen war. Begleitet von all ihren Freunden und Bediensteten, mit Möbeln und sogar dem Haushaltsleinen ritt er vom Schloß weg und folgte Anne Boleyn auf ihrem großen schwarzen Jagdpferd. Und sie blieb allein zurück.
»Er ist fort«, sagte sie verwundert. »Ohne sich auch nur von mir zu verabschieden.«
Ich nickte.
»Das hat er noch nie gemacht. Wie schlimm es auch war, er ist stets gekommen und hat sich meinen Segen erbeten, ehe er aufbrach. Er schien mir manchmal wie ein Junge. Ich dachte, er könne noch so weit von mir fortgehen, wolle sich aber doch immer vergewissern, daß er zu mir zurückkehren könnte. Vor jeder Reise hat er meinen Segen eingeholt.«
Man hörte Schritte von Stiefeln auf der Treppe, dann ein lautes Klopfen an der halboffenen Tür. Ich ging hin. Es war einer der Männer des Königs, der einen Brief mit dem königlichen Siegel brachte.
Katherines Gesicht leuchtete freudig auf, und sie rannte durch den Raum, um ihm den Brief abzunehmen. »Seht Ihr! Er ist doch nicht ohne ein Wort aufgebrochen. Er hat mir geschrieben«, sagte sie, nahm den Brief mit zum Fenster und erbrach das Siegel.
|385| Ich sah, wie sie beim Lesen um Jahre alterte. Alle Farbe wich ihr aus den Wangen, das Licht erlosch in ihren Augen, das Lächeln gefror ihr auf den Lippen. Sie sank auf die Bank beim Fenster. Ich drängte den Mann aus dem Zimmer und schloß die Tür vor seinen neugierigen Augen. Ich lief zu ihr und kniete mich neben sie.
Die Königin blickte zu mir herab, aber sie sah mich nicht. In ihren Augen standen Tränen. »Ich soll das Schloß verlassen«, flüsterte sie. »Er schickt mich fort. Kardinal hin oder her, Papst hin oder her, er schickt mich in die Verbannung. Innerhalb eines Monats soll ich fort sein, und unsere Tochter soll auch gehen.«
Der Bote klopfte an und steckte vorsichtig den Kopf ins Zimmer. Ich sprang auf und
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