Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
gab keinen Ehevertrag, es war nur eine kindliche Zuneigung. Ein Page hat einer Hofdame schöne Augen gemacht. Mehr nicht, und sie hat seine Gefühle niemals erwidert. Hast du das verstanden?«
»Es gibt Menschen, die es besser wissen«, warnte ich ihn.
»Die habe ich alle gekauft«, erwiderte er. »Außer Wolsey, und der ist tot.«
»Möglicherweise hat er es dem König gesagt, damals, ehe irgend jemand wußte, daß sich der König in Anne verlieben würde.«
»Er ist tot«, sagte mein Onkel voller Genugtuung. »Er kann es nicht mehr wiederholen. Und die anderen werden sich alle erdenkliche Mühe geben, dem König zu versichern, daß Anne so keusch und rein ist wie die Jungfrau Maria. Allen voran Henry Percy. Nur seine vermaledeite Ehefrau ist so verzweifelt darauf erpicht, aus dieser Ehe herauszukommen, daß sie alles aufs Spiel setzen würde.«
»Warum haßt sie ihn so?« fragte ich verwundert.
Er lachte bellend. »Mein Gott, Mary, du bist wirklich eine köstliche Närrin. Weil er wirklich mit Anne verheiratet war und sie das weiß. Weil er in Anne verliebt war und sie das weiß. Und weil der Verlust von Anne ihn so melancholisch gemacht |411| hat, daß er seither ein gebrochener Mann ist. Kein Wunder, daß sie nicht mit ihm verheiratet sein will. Und jetzt geh zu deiner Schwester und lüge das Blaue vom Himmel. Reiß deine schönen Augen auf und lüge für uns.«
Ich traf den König und Anne auf dem Spazierweg am Fluß. Sie redete auf ihn ein, und sein Kopf war zu ihr herabgeneigt, damit ihm nur ja kein Wort entging. Sie schaute auf, als sie mich kommen sah. »Mary wird es Euch bestätigen«, sagte sie. »Sie war in jenen Tagen meine Zimmergenossin.«
Es war deutlich zu sehen, wie verletzt Henry war.
»Die Gräfin von Northumberland«, erklärte Anne, »verbreitet Verleumdungen über mich, um sich aus einer Ehe zu befreien, deren sie überdrüssig geworden ist.«
»Was hat sie schon vorzubringen?«
»Den alten Tratsch. Daß Henry Percy in mich verliebt war.«
Ich lächelte den König so warm und selbstbewußt an, wie ich nur konnte. »Natürlich war er das, Majestät. Erinnert Ihr Euch nicht mehr daran, wie es war, als Anne bei Hof erschien? Alle waren in sie vernarrt, und Henry Percy war einer von ihnen.«
»Es war aber von einer Ehe die Rede«, sagte Henry.
»Mit dem Grafen von Ormondale?« fragte ich rasch.
»Man konnte sich damals nicht auf die Mitgift und die Titel einigen«, ergänzte Anne.
»Ich meine, zwischen Euch und Henry Percy«, beharrte Henry.
»Da war nichts«, beteuerte sie. »Ein Junge und ein Mädchen bei Hof, ein Gedicht, ein paar Worte, nichts weiter.«
»Er hat auch mir drei Gedichte geschrieben«, sagte ich. »Er war der saumseligste Page, den der Kardinal hatte. Schrieb immerzu allen Gedichte. Wie schade, daß er eine humorlose Frau geheiratet hat. Wenn sie etwas von Gedichten verstünde, wäre sie ihm schon viel früher weggelaufen!«
Anne lachte, doch Henry erwiderte: »Sie sagt, daß es einen vorherigen Ehevertrag gab und daß Ihr und er verheiratet wart.«
|412| »Ich habe Euch versichert, daß es nicht so war«, widersprach ihm Anne mit einem schrillen Unterton in der Stimme.
»Aber warum sollte sie so etwas behaupten, wenn es nicht wahr ist?« fragte Henry.
»Um ihren Mann loszuwerden!« keifte Anne.
»Doch warum sollte sie diese Lüge wählen und nicht irgendeine andere? Warum hat sie nicht gesagt, er sei mit Mary verheiratet gewesen? Wo er ihr doch auch Gedichte geschrieben hat.«
»Das macht sie vielleicht noch«, fuhr ich dazwischen, um Annes Wutausbruch zu verhindern. Doch sie verlor die Beherrschung und entzog ihm mit heftiger Bewegung ihre Hand.
»Was wollt Ihr damit sagen?« herrschte sie ihn an. »Ich sei unkeusch? Obwohl ich Euch schwöre, daß ich niemals einen anderen angeschaut habe? Und jetzt beschuldigt Ihr – ausgerechnet Ihr! – mich, schon früher eine Ehe eingegangen zu sein? Ihr! Der mir zu Lebzeiten seiner Frau den Hof macht? Wer von uns ist denn wohl der Bigamist? Ein Mann, dessen Frau, eine Königin im Exil, in einem wunderschönen Haus in Hertfordshire lebt, oder ein Mädchen, dem einmal jemand ein Gedicht geschrieben hat?«
»Meine Ehe ist ungültig!« brüllte Henry zurück. »Und jeder Kardinal in Rom weiß das!«
»Aber es gab sie, wie jedermann in London weiß! Ihr habt genug Geld dafür verschwendet, weiß Gott! Ihr wart damals froh darüber! In meinem Leben jedoch wurden keine Versprechen gegeben, keine Ringe getauscht,
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