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Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin

Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin

Titel: Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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ich muß nur immerzu an ihn denken. Nachts träume ich von ihm, den ganzen Tag verlangt es mich danach, ihn zu sehen, und wenn ich ihn zu Augen bekomme, dann werde ich ganz schwach vor Begierde.«
    »Und er?« fragte George, unwillkürlich interessiert.
    »Ich dachte, daß er meine Gefühle erwiderte. Aber heute, als der Wind gedreht hatte, sagte er, wir würden nun nach England aufbrechen und könnten uns dort nicht mehr so sehen wie in Frankreich.«
    »Nun, da hat er recht«, sagte George brutal. »Du solltest dich nicht mit Herren aus dem Gefolge einlassen.«
    |454| »Er ist nicht irgendein Herr aus dem Gefolge«, brauste ich auf. »Er ist der Mann, den ich liebe.«
    »Erinnerst du dich an Henry Percy?« fragte George plötzlich.
    »Natürlich.«
    »Er war verliebt. Mehr als das, er war versprochen, mehr als das, er war verheiratet. Hat ihm das geholfen? Nein. Er sitzt in Northumberland, ist mit einer Frau verheiratet, die ihn verabscheut, ist immer noch verliebt, hat ein gebrochenes Herz und keine Hoffnung mehr. Du hast die Wahl. Du kannst verliebt sein, dir das Herz brechen lassen, oder du kannst das Beste daraus machen.«
    »So wie du?« fragte ich.
    »So wie ich«, erwiderte er finster. Unwillkürlich schaute er von der Galerie herunter auf Francis Weston, der, über Annes Schulter gebeugt, eine Partitur las. Sir Francis spürte unsere Blicke und sah hoch. Dieses Mal vergaß er, mir zuzulächeln, sondern blickte geradewegs auf meinen Bruder, und in diesem Blick lag tiefe Vertrautheit.
    »Ich lasse mich niemals von meinen Begierden leiten«, sagte George bitter. »Ich habe meine Familie über alles gestellt, ich mache nichts, was Anne in Verlegenheit bringen könnte. Liebe ist für uns Howards nicht vorgesehen. Zuallererst sind wir Höflinge, wahre Liebe hat bei Hof nichts zu suchen.«
    Sir Francis lächelte distanziert, als George ihn nicht grüßte, und wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Musik zu.
    George zwickte mich in meine kalten Finger, die noch auf seinem Arm ruhten. »Du darfst dich nicht mehr mit ihm treffen«, sagte er. »Das mußt du mir bei deiner Ehre versprechen.«
    »Bei meiner Ehre kann ich nichts versprechen, ich habe keine mehr«, erwiderte ich scharf. »Ich war mit einem Mann verheiratet und habe ihn mit dem König betrogen. Ich bin zu ihm zurückgegangen, und er ist gestorben, ehe ich ihm sagen konnte, daß ich ihn liebe. Jetzt, da ich einen Mann gefunden habe, den ich von ganzem Herzen lieben könnte, soll ich bei meiner Ehre versprechen, ihn nie wieder zu sehen – und ich |455| verspreche es. Bei meiner Ehre. Keiner von uns drei Boleyns hat auch nur einen Funken Ehre im Leibe.«
    »Bravo«, meinte George. Er umarmte mich und küßte mich auf den Mund. »Der Herzschmerz steht dir gut. Du siehst zum Anbeißen aus.«
     
    Am nächsten Tag stachen wir in See. Ich hielt auf dem Deck nach William Ausschau. Als ich bemerkte, daß er sorgsam meine Blicke mied, ging ich unter Deck zu den anderen Damen, kuschelte mich in einen Berg Kissen und schlief. Am liebsten hätte ich das nächste halbe Jahr verschlafen, bis ich wieder nach Hever reisen und meine Kinder sehen durfte.

|456| Winter 1532
    Der Hof feierte Weihnachten in Westminster, und Anne stand im Mittelpunkt. Der Festmeister hielt ein Maskenspiel nach dem anderen ab, und sie wurde als Friedenskönigin, Winterkönigin und Weihnachtskönigin gefeiert. Nur nicht als Königin von England, aber jeder wußte, daß dieser Titel auch sehr bald folgen würde. Henry nahm sie mit in den Tower von London, und sie durfte sich in den Schatzkammern aussuchen, was sie wollte.
    Ihre und Henrys Gemächer lagen nun nebeneinander. Sie zogen sich abends ganz offen in ihr oder sein Gemach zurück und erschienen am Morgen wieder zusammen. Ich war von meinem Posten als Anstandsdame befreit und verbrachte zum ersten Mal seit meiner Kindheit die Nächte allein. Es war geradezu ein Vergnügen, an meinem kleinen Kaminfeuer zu sitzen und zu wissen, daß nicht jeden Augenblick Anne wütend ins Zimmer stürmen würde. Aber ich war auch manchmal einsam, verbrachte lange Abende träumend am Kamin und schaute an so manchem kalten Nachmittag aus dem Fenster auf den grauen Winterregen. Der Sonnenschein und die Sanddünen von Calais schienen Millionen von Jahren entfernt. Ich hatte das Gefühl, zu Eis zu erstarren.
    Ich hielt unter den Leuten meines Onkels nach William Stafford Ausschau. Jemand erzählte mir, er sei auf sein Landgut gereist, um sich um die Rübenernte und

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