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Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin

Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin

Titel: Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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Hof«, sagte ich. »Wenn du einen Sohn zur Welt bringst, dann kann dir nichts und niemand etwas anhaben. Das weißt du.«
    Sie nickte. schloß die Augen und lehnte sich in die Kissen zurück. »O Gott, ich wünschte, es wäre schon vorüber«, jammerte sie.
    »Amen dazu«, antwortete ich.
     
    Nun, da mich die Argusaugen meiner Schwester nicht mehr beobachteten, hatte ich die Freiheit, viel Zeit mit William zu verbringen. Oft hielt sich Madge Shelton nicht in unserem gemeinsamen Gemach auf. Wir beide hatten stillschweigend vereinbart, stets anzuklopfen und sofort wieder wegzugehen, wenn die Tür von innen verriegelt war. Madge war noch sehr jung, aber sie war bei Hof schnell erwachsen geworden. Sie wußte, daß ihre Chancen auf eine gute Partie von einem empfindlichen Gleichgewicht abhingen: Sie mußte die Begierde eines Mannes wecken, ohne dabei ihren guten Ruf zu beflecken. Und der heutige Hof war um einiges lockerer und ungestümer als der, an den ich als junges Mädchen gekommen war.
    Auch Georges Trugspiel war erfolgreich. Nun, da die Königin nicht mehr am Hofleben teilnahm, hatten er und Sir Francis |502| und William Brereton und Henry Norris keinen regelmäßigen Tagesablauf mehr. Sie gingen morgens mit Henry auf die Jagd. Manchmal berief er sie am Nachmittag in den Rat, aber meistens lungerten sie untätig herum. Sie flirteten mit den Hofdamen der Königin, fuhren unbemerkt flußaufwärts in die Innenstadt und verschwanden ganze Nächte lang ohne Erklärung. Ich erwischte George einmal am frühen Morgen. Ich hatte die Sonne am Fluß genossen, als ein Ruderboot am Landesteg des Palastes festmachte, George den Bootsmann bezahlte und leise den Gartenweg hinaufkam.
    »George«, rief ich und trat aus meiner Rosenlaube.
    Er fuhr erschrocken zusammen. »Mary!« Sofort wanderten seine Gedanken zu Anne. »Es geht ihr doch gut?«
    »Ja. Wo warst du?«
    Er zuckte die Achseln. »Eine kleine Zerstreuung«, erwiderte er. »Mit ein paar Freunden von Henry Norris. Wir waren tanzen, haben etwas gegessen, ein bißchen gespielt.«
    »War Sir Francis auch dabei?«
    Er nickte.
    »George …«
    »Mach mir bloß keine Vorwürfe!« fuhr er auf. »Niemand sonst weiß davon. Wir halten die Sache sehr ruhig.«
    »Wenn der König es herausfindet, wirst du vom Hof verbannt«, sagte ich offen heraus.
    »Er wird nichts herausfinden«, antwortete er. »Ich weiß, du hast davon gehört, aber das war Klatsch und Tratsch von einem Reitknecht. Den haben wir zum Schweigen gebracht. Entlassen. Schluß aus.«
    Ich ergriff seine Hand und schaute ihm in die dunklen Boleyn-Augen. »George, ich habe Angst um dich.«
    Er lachte spröde. »Nicht nötig«, meinte er, »Ich habe nichts zu befürchten. Nichts zu befürchten, nichts zu erwarten und keinen Ort, wohin ich gehen könnte.«
     
    Anne bekam ihr königliches Taufgewand nicht. Man machte der Königin brieflich Vorschläge, wie sie sich vom König trennen sollte. Man redete sie mit Prinzessinnenwitwe an, und sie |503| strich diesen Titel mit so wütendem Federstrich aus, daß dabei das Pergament zerriß. Man drohte ihr, sie würde nie wieder ihre Tochter Prinzessin Mary zu Gesicht bekommen. Man verbannte sie in den jämmerlichsten Palast: nach Buckden in Lincolnshire. Aber noch immer wollte sie nicht klein beigeben. Noch immer behauptete sie standhaft, die rechtmäßige Ehefrau des Königs zu sein. Das Taufgewand schien in diesem Zusammenhang von vergleichsweise geringer Bedeutung. Nachdem sie sich geweigert hatte, es herauszugeben, weil es ihr persönlich gehörte und sie es aus Spanien mitgebracht hatte, bestand Henry nicht weiter darauf.
    Ich dachte an sie, die in einem kalten Herrenhaus am Rande des Moors lebte. Ich dachte daran, daß der Ehrgeiz derselben Frau sie von ihrer Tochter getrennt hatte und mich von meinem Sohn. Ich dachte an ihren unbeugsamen Willen, vor dem Angesicht Gottes das Rechte zu tun. Sie fehlte mir. Sie war wie eine Mutter für mich gewesen, als ich an den Hof kam, und ich hatte sie betrogen, wie manche Tochter ihre Mutter betrügt, und doch nie aufgehört, sie zu lieben.

|504| Herbst 1533
    Annes Wehen setzten im Morgengrauen ein. Die Hebamme ließ mich sofort in die Wöchnerinnenstube holen. Ich mußte mir mühsam einen Weg durch die Höflinge, Anwälte, Schreiber und Hofbeamten im Audienzraum bahnen. Gleich neben der Tür waren ihre Hofdamen versammelt, die darauf warteten, der Königin bei der Entbindung zur Seite zu stehen, sich aber nur mit möglichst schrecklichen

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