Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
Henry so eiskalt wie möglich. »Bessere als Ihr wurden weitaus schlechter behandelt und haben sich mit keinem Wort beklagt. Wie Ihr sehr wohl wißt.«
Einen Augenblick lang machte der Zorn sie so blind, daß sie nicht begriff, worauf er anspielte. Doch dann sprang sie von ihrem Stuhl auf. »Ausgerechnet
sie
führt Ihr hier an!« kreischte sie. »Ihr wagt es, mich mit dieser Frau zu vergleichen, die nie Eure Frau war!«
»Sie war eine Prinzessin von königlichem Geblüt!« schrie er zurück. »Und sie hätte mir nie und nimmer Vorwürfe gemacht. Sie wußte, daß die Pflicht einer Ehefrau darin besteht, für das Wohlergehen ihres Gatten zu sorgen.«
|497| Anne klatschte sich mit der Hand auf die Rundung ihres Bauches. »Und hat sie Euch einen Sohn geschenkt?« wollte sie wissen.
Henry schwieg. »Nein«, antwortete er ernst.
»Prinzessin hin, Prinzessin her, sie war zu nichts nutze. Und sie war nicht Eure Frau.«
Er nickte. Wie uns allen fiel es manchmal auch Henry schwer, sich an diese außerordentlich zweifelhafte Wahrheit zu erinnern.
»Ihr solltet Euch nicht aufregen«, meinte er.
»Dann gebt Ihr mir keinen Grund dazu«, erwiderte sie.
Zögernd näherte ich mich ihr. »Anne, du solltest dich hinsetzen«, sagte ich, so ruhig ich nur konnte. Henry stimmte mir erleichtert zu. »Ja, Lady Carey, beruhigt sie. Ich gehe jetzt.« Er verneigte sich leicht vor Anne und verließ rasch den Raum. Die Hälfte seiner Herren schloß sich ihm an, die anderen überraschte sein plötzlicher Aufbruch so sehr, daß sie blieben. Anne schaute mich an.
»Was mußtest du dich einmischen?«
»Du darfst das Kind nicht gefährden.«
»Ach! Das Kind! Alle denken nur noch an das Kind!«
George ergriff Annes Hand. »Natürlich. Unsere Zukunft hängt davon ab. Deine auch, Anne. Jetzt beruhige dich. Mary hat recht.«
»Wir hätten die Sache bis zum Schluß ausfechten sollen«, schmollte sie. »Ich hätte ihn nicht gehen lassen dürfen, ehe er mir versprochen hätte, sie vom Hof zu verbannen. Du hättest dich nicht dazwischendrängen dürfen.«
»Du kannst die Sache nicht bis zum Schluß ausfechten«, erklärte George. »Du kannst nicht wieder in sein Bett, ehe du nicht das Kind geboren hast und deinen ersten Kirchgang hinter dir hast. Du mußt warten, Anne. Und du weißt, daß er eine andere bei sich haben muß, solange er wartet.«
»Aber was ist, wenn sie ihn behält?« jammerte Anne und mied meinen Blick. Schließlich hatte sie ihn mir weggenommen, während ich gerade im Wochenbett lag.
»Das kann sie nicht«, erwiderte George schlicht. »Du bist |498| seine Frau. Er kann sich nicht von dir scheiden lassen, oder? Er ist gerade erst die andere losgeworden. Wenn du ihm einen Sohn geboren hast, hat er auch keinen Grund dazu. Dein Trumpf ist das Kind in deinem Bauch, Anne. Du mußt diese Karte nur richtig ausspielen.«
Sie lehnte sich im Stuhl zurück. »Laßt Musikanten kommen!« befahl sie. »Tanz.«
George schnippte mit den Fingern, und ein Page eilte herbei.
Anne wandte sich zu mir. »Und du sagst Lady Margaret Steyne, daß sie mir bloß nicht unter die Augen kommen soll.«
In jenem Sommer zog der Hof an den Fluß. Wir waren noch nie zuvor in den Sommermonaten in der Nähe der Themse gewesen, und der Festmeister dachte sich für Henry und seine neue Königin allerlei Unterhaltung auf dem Wasser aus.
Im August verkündete Anne, sie werde sich nun in ihre Wöchnerinnenstube zurückziehen. Als Henry sie eines Morgens nach der Messe besuchte, herrschte in ihren Gemächern ein einziges Durcheinander, und alle Damen waren emsig bei der Arbeit.
Anne saß inmitten dieses Getümmels und erteilte Befehle. Als sie Henry sah, neigte sie den Kopf, stand aber nicht auf, um einen Hofknicks vor ihm zu machen. Es war ihm gleichgültig, er war vernarrt in seine schwangere Königin, und wie ein kleiner Junge fiel er neben ihr auf die Knie, legte seine Hände auf ihren großen runden Bauch und schaute in ihr Gesicht auf.
»Wir brauchen ein Taufgewand für unseren Sohn«, sagte Anne ohne Umschweife. »Hat sie es?«
»Sie«, das war immer die Königin, die verschwunden war, die Königin, die niemand je erwähnte, die Königin, an die alle krampfhaft nicht zu denken versuchten.
»Es ist ihr eigenes Taufgewand. Sie hat es aus Spanien mitgebracht.«
»Ist Mary darin getauft worden oder nicht?« fragte Anne, obwohl sie die Antwort bereits kannte.
Henry versuchte sich zu erinnern. »O ja, ein langes weißes |499| Taufgewand, üppig
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