Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
hatte verkünden wollen, nun eben zu berichtigen. Henry biß die Zähne zusammen und versuchte, nicht daran zu denken, was man an den Höfen Europas dazu sagen würde. Man würde ihn auslachen, daß er so viel Unbill auf sich genommen hatte, um von einer gemeinen Bürgerlichen nur noch eine weitere Tochter zu bekommen. Ich bewunderte ihn an jenem Abend, als er meine Schwester in die Arme schloß, sie aufs Haar küßte und »Liebste« nannte. Ich verstand ihn: Er war zu stolz, als daß er irgend jemandem gezeigt hätte, wie enttäuscht er war. Mir wurde |507| deutlich, daß er ungeheuer eitel war, gefährliche Launen zeigte und trotz alledem – oder vielleicht gerade
deswegen
– ein großer König war.
Ich taumelte nach sechsunddreißig Stunden ohne Schlaf wieder in mein Gemach. Die Wut und Verzweiflung meines Vaters, meines Onkels und meines Bruders klangen mir noch in den Ohren. Am Kamin wartete William mit einer kleinen Fleischpastete und einem Krug Dünnbier auf mich.
»Ich dachte mir, daß du vielleicht müde und hungrig bist«, sagte er zur Begrüßung.
Ich fiel ihm in die Arme und verbarg mein Gesicht im tröstlichen Duft seines Leinenhemdes. »O William!«
»Ärger?«
»Sie sind alle so wütend. Anne ist verzweifelt, und niemand außer dem König hat das Kind überhaupt angesehen, und auch er hat die Kleine nur wenige Augenblicke gehalten. O Gott, wäre sie doch bloß ein Junge!«
Er tätschelte mir den Rücken. »Psst, meine Liebste. Sie werden sich wieder beruhigen. Und sie machen ein neues Kind, vielleicht beim nächsten Mal einen Sohn.«
»Noch ein Jahr«, meinte ich. »Noch ein Jahr, ehe Anne ihre Furcht los ist und ich sie endlich los bin.«
Er zog mich an den Tisch, drückte mich auf einen Stuhl und gab mir einen Löffel in die Hand. »Iß«, sagte er. »Wenn du erst gegessen und geschlafen hast, sieht alles ganz anders aus.«
»Wo ist Madge?« fragte ich ängstlich und blickte zur Tür. »Bei einem Saufgelage im Großen Saal«, antwortete er. »Der
Hof hat ein großes Festmahl vorbereitet, um die Ankunft des Prinzen zu feiern. Und sie lassen es stattfinden, ganz gleich, was geschehen ist. In den nächsten Stunden kommt Madge nicht zurück, wenn überhaupt.«
Ich nickte und aß. Als ich fertig war, zog er mich aufs Bett, küßte mir den Nacken und die Lider so sanft und zärtlich, daß ich Anne und das unerwünschte Mädchen vergaß und mich in seine Arme schmiegte. So schlief ich ein, noch vollständig angekleidet.
|508| Sobald Anne sich von der Geburt erholt hatte, war sie vollauf damit beschäftigt, die Pflege für die kleine Prinzessin Elizabeth im Hatfield Palace zu arrangieren. Dort sollte die königliche Kinderstube eingerichtet werden, unter der Leitung unserer Tante Lady Anne Shelton. Prinzessin Mary, die man hinter vorgehaltener Hand hatte lächeln sehen, als sie Annes Unbehagen über das kleine Mädchen beobachtete, sollte auch dort leben, weit weg von ihrem Vater und ihrem rechtmäßigen Platz bei Hof.
»Sie kann Elizabeth dienen«, meinte Anne achtlos. »Sie kann ihre Hofdame sein.«
»Anne«, erwiderte ich. »Sie ist selbst eine Prinzessin. Sie kann nicht deine Tochter bedienen. Das ist nicht recht.«
Anne strahlte mich an. »Du Närrin«, sagte sie schlicht. »Jedermann muß sehen, daß sie dorthin geht, wohin ich ihr es befehle, sie muß meiner Tochter dienen, so daß ich weiß, daß ich wirklich Königin bin und Katherine vergessen ist.«
»Kannst du denn nie lockerlassen?« fragte ich. »Du mußt doch schließlich nicht ständig Ränke schmieden.«
Sie warf mir ein verkniffenes, bitteres Lächeln zu. »Du glaubst doch nicht etwa, daß Cromwell lockerläßt? Oder die Seymours? Oder der spanische Botschafter und sein Netz von Spionen und diese verfluchte Frau? Daß sie sich sagen: ›Nun ja, sie hat ihn geheiratet, ihm ein nutzloses Mädchen geboren. Für uns steht zwar alles auf dem Spiel, aber lassen wir sie gewähren?‹ Glaubst du das wirklich?«
»Nein«, gab ich widerwillig zu.
Sie schaute mich einen Augenblick lang an. »Wie schaffst du es nur, so rund und zufrieden auszusehen, wo du mit deiner kleinen Rente doch stetig dahinschwinden solltest.«
Ich konnte ein kleines Lachen nicht unterdrücken, als ich hörte, in welch düsteren Farben sie mein Leben malte. »Es geht gerade so«, antwortete ich einsilbig. »Aber ich würde gern meine Kinder in Hever besuchen, wenn du es erlaubst.«
»Ach, geh doch«, erwiderte matt. »Aber bis Weihnachten mußt du
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