Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
wieder in Greenwich sein.«
Ich eilte zur Tür, ehe sie ihre Meinung noch einmal ändern |509| konnte. »Und sage Henry, daß wir ihn bald zu einem Privatlehrer schicken, damit er eine gute Erziehung bekommt«, meinte sie.
Ich erstarrte, die Hand am Türrahmen. »Mein Junge?« flüsterte ich.
»
Mein
Junge«, korrigierte sie mich. »Er kann nicht seine ganze Kindheit nur spielen, weißt du.«
»Ich dachte …«
»Ich habe angeordnet, daß er mit den Söhnen von Sir Francis Weston und von William Brereton unterrichtet wird. Man sagt mir, daß sie gut lernen. Es wird Zeit, daß er mit Jungen seines Alters zusammenkommt.«
»Ich möchte nicht, daß er mit ihnen zusammen ist«, sagte ich sogleich. »Nicht mit den Söhnen dieser beiden Männer.«
Sie zog eine Augenbraue hoch. »Es handelt sich um Herren an meinem Hof«, erinnerte sie mich. »Ihre Söhne werden ebenfalls Höflinge werden, sie könnten eines Tages an seinem Hof dienen. Er sollte Zeit mit ihnen verbringen. So habe ich entschieden.«
Ich wollte sie anschreien, aber ich zwickte mich in die Hand und schaffte es, ihr mit süßer Stimme zu antworten. »Anne, er ist noch ein kleiner Junge. Er ist in Hever mit seiner Schwester glücklich. Wenn du möchtest, daß ihn jemand unterrichtet, dann bleibe ich da und mache es selbst …«
»Du!« Sie lachte. »Da könnte ich genausogut die Sumpfenten bitten, ihm Unterricht im Quaken zu geben. Nein, Mary. Ich habe meine Entscheidung gefällt. Und der König ist meiner Meinung.«
»Anne …«
Sie lehnte sich zurück und schaute mich aus zusammengekniffenen Augen an. »Ich nehme an, du willst ihn dieses Jahr noch einmal sehen? Du möchtest doch nicht, daß ich ihn sofort zu einem Privatlehrer schicke?«
»Nein!«
»Dann geh, Schwester. Denn meine Entscheidung steht fest, und du ermüdest mich.«
|510| William sah zu, wie ich wütend in den kleinen Räumen unserer gemieteten Unterkunft auf und ab stürmte. »Ich bring sie um«, schimpfte ich.
Er stand mit dem Rücken zur Tür da, schaute rasch zu den Fenstern, ob sie auch geschlossen waren, so daß niemand mich hören konnte.
»Ich bring sie um! Meinen Jungen, meinen lieben Jungen mit den Söhnen dieser Sodomiten unterrichten zu lassen! Ihn für ein Leben bei Hof vorzubereiten! Prinzessin Mary zu befehlen, daß sie Elizabeth bedienen muß, und meinen Jungen im gleichen Atemzug ins Exil zu schicken! Sie ist verrückt, so etwas zu tun! Sie ist wahnsinnig vor Ehrgeiz. Und mein Junge … Mein Junge …«
Mein Hals war wie zugeschnürt. Meine Knie wurden weich, und ich sackte auf dem Bett zusammen, vergrub mein Gesicht in der Decke und schluchzte.
William verließ seinen Posten bei der Tür nicht. Er ließ mich weinen. Er wartete, bis ich den Kopf hob und meine nassen Wangen mit den Fingern abwischte. Erst dann kam er und kniete sich auf dem Boden neben mich hin. Ich kroch auf allen vieren verzweifelt in seine Arme. Er hielt mich sanft und schaukelte mich hin und her, als wäre ich selbst ein kleines Kind.
»Wir bekommen ihn zurück«, flüsterte er in mein Haar. »Wir werden herrliche Zeiten mit ihm verbringen, wir schicken ihn zu seinem Privatlehrer, und dann bekommen wir ihn zurück, das verspreche ich dir. Wir holen ihn uns zurück, meine Süße.«
|511| Winter 1533
Als Neujahrspräsent für den König hatte Anne ein außerordentlich extravagantes Geschenk in Auftrag gegeben. Die Goldschmiede brauchten einen ganzen Morgen, um es im Großen Saal aufzustellen.
Als sie Anne mitteilten, sie könnte es jetzt anschauen, bat sie George und mich, sie zu begleiten. Es bot sich uns ein höchst erstaunlicher Anblick: Ein Brunnen aus Gold, verziert mit Diamanten und Rubinen, am Fuß des Brunnens drei nackte Frauen, ebenfalls aus Gold, aus deren Brüsten Wasser sprudelte.
»Mein Gott«, sagte George ehrfürchtig. »Wieviel hat dich das gekostet?«
»Frag lieber nicht«, erwiderte Anne. »Großartig, nicht?«
»Großartig.« Ich fügte nicht hinzu: »Aber furchtbar häßlich«, obwohl ich aus Georges bestürztem Gesicht ablesen konnte, daß er genauso dachte.
»Ich dachte, Henry könnte den Brunnen in seinem Audienzzimmer aufstellen«, sagte Anne.
»Fruchtbare Frauen, aus denen Wasser sprudelt«, sagte ich und schaute die drei glänzenden Statuen an.
Anne lächelte mir zu. »Ein Omen«, meinte sie. »Eine Erinnerung. Ein Wunsch.«
»So Gott will, auch eine Prophezeiung«, fügte George finster hinzu. »Schon irgendwelche Anzeichen?«
»Noch nicht«,
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