Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
Rasenbank unter einem Baldachin. Eine Gruppe Musikanten spielte für sie. Jemand las Liebesgedichte vor. Ich betrachtete die Gesellschaft eine Weile von fern. Sie wirkten alle älter, als ich sie in Erinnerung hatte, vom Leben gezeichnet, raffinierter, beinahe korrupt. Über allem lag ein Hauch von Extravaganz und Luxus, es wurden viele schöne Worte gesäuselt. Hier konnte alles geschehen.
»Ach, da ist ja meine Schwester«, bemerkte Anne und beschattete sich die Augen mit der Hand. »Willkommen, Mary. Hast du genug vom Landleben?«
Ich raffte meinen Reitumhang lose um mich. »Ja«, antwortete ich. »Ich möchte mich jetzt an deinem Hof sonnen.«
Anne lachte. »Schön gesagt. Es wird doch noch eine echte Hofdame aus dir. Wie geht es meinem Sohn Henry?«
Ich zuckte zusammen, wie sie es beabsichtigt hatte. »Er schickt schöne Grüße. Ich habe auch einen Brief dabei, den er dir in lateinischer Sprache geschrieben hat. Er ist ein gescheiter Junge, sein Privatlehrer ist sehr zufrieden mit ihm, und er hat diesen Sommer hervorragend reiten gelernt.«
»Gut«, antwortete Anne zerstreut. »Ich gehe mich jetzt umziehen, ehe der König von der Jagd heimkehrt und essen will.« Sie erhob sich und schaute ihre Hofdamen an. »Wo ist Madge Shelton?«
Das Schweigen war Antwort genug. »Wo ist sie?«
»Mit dem König auf der Jagd, Majestät«, brachte eine der Hofdamen hervor.
Anne schaute mich an. Ich war das einzige Mitglied des Hofstaates, dem wie ihr bekannt war, daß unser Onkel Madge für die Dauer von Annes Wochenbett als Mätresse für den König bestimmt hatte. Es schien, als hätte sie weitaus größere Fortschritte gemacht.
»Wo ist George?« erkundigte ich mich.
|528| »Beim König«, antwortete sie. Wir wußten, daß wir uns auf George verlassen konnten. Er würde Annes Interessen schützen.
Anne nickte und ging zum Palast. Ihre Schultern waren gestrafft, ihr Gesicht war finster. Die Erwähnung der anderen Frau hatte dem Nachmittag die spielerische Leichtigkeit genommen. Ich begleitete sie in ihre Gemächer. Wie ich gehofft hatte, bedeutete sie den Hofdamen, im Audienzzimmer zurückzubleiben, und ging mit mir allein in ihr Privatgemach. Sobald die Tür sich hinter uns geschlossen hatte, sagte ich: »Anne, ich brauche deine Hilfe.«
»Was denn nun schon wieder?« fragte sie. Sie setzte sich vor den goldenen Spiegel und zog sich die Haube vom Kopf. Ihr dunkles Haar fiel herrlich und glänzend wie immer über ihre Schultern. »Bürste mir das Haar«, forderte sie mich auf.
Ich nahm die Bürste zur Hand und fuhr ihr durch die dunklen Locken, hoffte sie damit zu besänftigen. »Ich habe geheiratet«, sagte ich schlicht. »Und ich trage ein Kind unter dem Herzen.«
Sie saß einen Augenblick reglos da, als hätte sie mich nicht gehört. Dann fuhr sie mit wütendem Gesicht auf dem Schemel herum. »Du hast was?«
»Geheiratet«, antwortete ich.
»Ohne meine Erlaubnis?«
»Ja, Anne. Es tut mir leid.«
»Wen?«
»Sir William Stafford.«
»William Stafford? Den Zeremonienmeister des Königs?«
»Ja«, sagte ich. »Er hat ein kleines Gut bei Rochford.«
»Er ist ein Niemand«, erklärte sie aufgebracht.
»Der König hat ihn zum Ritter geschlagen«, erwiderte ich. »Er ist jetzt Sir William.«
»Sir William Niemand«, zischte sie. »Und du bist schwanger?«
Ich wußte, das würde sie am meisten stören. »Ja«, antwortete ich demütig.
Sie sprang auf und zerrte mir den Umhang weg, so daß sie |529| sehen konnte, wie sehr ich mein Mieder schon hatte lockern müssen. »Du Hure!« schrie sie mich an und holte aus. Die Wucht der Ohrfeige warf mich aufs Bett, und schon hatte Anne sich auf mich gestürzt. »Wie lange geht das bereits? Wann wird dein nächster Bankert geboren?«
»Im März, und es ist kein Bankert.«
»Willst du mich verspotten, daß du mit deinem dicken Bauch wie eine fette Zuchtstute an meinen Hof kommst? Willst du aller Welt verkünden, daß du die fruchtbare Boleyn-Schwester bist, ich aber beinahe steril?«
»Anne …«
Sie war nicht aufzuhalten.
»Der ganzen Welt zeigen, daß du schon wieder trächtig bist? Du beleidigst mich durch deine bloße Anwesenheit! Du beleidigst unsere Familie.«
»Ich habe ihn geheiratet«, sagte ich mit vor Wut bebender Stimme. »Ich habe ihn aus Liebe geheiratet, Anne. Bitte sei nicht so. Ich liebe ihn. Ich kann vom Hof weggehen, aber bitte laß mich …«
Sie ließ mich nicht einmal aussprechen. »O ja, du wirst den Hof verlassen!« schrie sie.
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