Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
an. »Was hat sie nur getan, daß so etwas geschehen mußte?« fragte sie so kühl, als erkundigte sie sich nach einem zerbrochenen Teller. »Sie muß etwas getan haben, um ihr Kind zu verlieren. Weißt du, was es war?«
Ich dachte daran, daß sie den König verführt und seiner Frau das Herz gebrochen hatte, daran, daß sie drei Männer vergiftet und Kardinal Wolsey vernichtet hatte. »Nein, nichts Ungewöhnliches.«
Meine Mutter nickte und verließ das Zimmer ohne ein weiteres Wort. Annes leerer Blick wandte sich wieder mir zu. Ich kniete mich ans Kopfende ihres Bettes und breitete die Arme aus. Annes Miene änderte sich nicht, aber sie lehnte sich langsam zu mir und barg den Kopf an meiner Schulter.
Wir brauchten die Nacht und den ganzen nächsten Tag, um Anne wieder auf die Beine zu bekommen. Der König hielt sich fern, nachdem wir die Nachricht verbreitet hatten, daß sie erkältet sei. Mein Onkel jedoch kam zur Tür ihres Schlafgemachs, als sei sie immer noch ein kleines Boleyn-Mädchen. Ich merkte, wie sich ihre Miene angesichts dieser Respektlosigkeit verfinsterte.
»Eure Mutter hat es mir erzählt«, sagte er knapp. »Wie konnte so etwas passieren?«
|525| Anne schaute zu ihm. »Wie soll ich das wissen?«
»Ihr habt keine Kräuterfrau zu Rate gezogen, um zu empfangen? Ihr habt keine Geister beschworen oder Zaubersprüche bemüht?«
Anne schüttelte den Kopf. »Ich würde niemals dergleichen tun«, antwortete sie. »Fragt meinen Beichtvater, fragt Thomas Cranmer. Ich bin genauso besorgt um mein Seelenheil wie Ihr um das Eure.«
»Ich sorge mich mehr um meinen Kopf und Kragen«, erwiderte er finster. »Schwört Ihr? Denn eines Tages muß vielleicht ich für Euch schwören.«
»Ich schwöre«, sagte Anne schmollend.
»Macht, daß Ihr so schnell wie möglich auf die Beine kommt und wieder ein Kind empfangt. Und diesmal sollte es besser ein Junge sein.«
Der Blick, den sie ihm zuwarf, war so haßerfüllt, daß sogar er zurückwich. »Vielen Dank für diesen Ratschlag«, fauchte sie. »Der Gedanke war auch mir bereits gekommen. Ich muß so schnell wie möglich wieder empfangen und das Kind austragen, und es muß ein Junge sein. Vielen Dank, Onkel. Ja, das weiß ich.«
Sie drehte sich von ihm weg zu den üppigen Vorhängen ihres Betts. Er wartete einen Augenblick, schließlich lächelte er grimmig und ging. Ich schloß die Tür hinter ihm, und Anne und ich waren allein.
Als sie mich anblickte, stand Furcht in ihren Augen. »Aber was ist, wenn der König keinen ehelichen Sohn zeugen kann?« flüsterte sie. »Mit ihr hat er das auch nie geschafft. Man wird mir alle Schuld daran geben. Was wird dann aus mir?«
|526| Sommer 1534
In den ersten Julitagen war mir morgens oft übel, und meine Brüste waren sehr empfindlich geworden. Eines Nachmittags tätschelte mir William den Bauch und fragte ruhig: »Was meinst du dazu, meine Liebste?«
»Wozu?«
»Zu diesem runden, kleinen Bäuchlein.«
Ich wandte den Kopf ab, um mein Lächeln zu verbergen. »Ich habe noch gar nichts bemerkt.«
»Nun, ich schon«, erwiderte er schlicht. »Jetzt sag’s mir. Wie lange weißt du es bereits?«
»Zwei Monate«, gestand ich. »Und ich bin hin- und hergerissen zwischen Freude und Angst, denn das Kind könnte unser Unheil sein.«
Er umarmte mich. »Niemals«, sagte er. »Es ist unser erstgeborener kleiner Stafford, ein Grund zur allergrößten Freude. Ein Sohn, der die Kühe von der Weide holt, oder eine Tochter, die sie melkt. Was bist du doch für ein gescheites Mädchen.«
»Möchtest du gern einen Jungen?« fragte ich neugierig, weil ich an das immerwährende Thema der Boleyns dachte.
»Wenn du einen zur Welt bringst«, sagte er gleichmütig. »Ich möchte, was immer da drin ist, meine Liebste.«
Ich erbat mir Urlaub vom Hof, um mich im Juli und August bei meinen Kindern in Hever aufzuhalten, während Anne und der König auf Staatsreise gingen. William und ich erlebten den besten Sommer mit den Kindern. Als die Zeit für meine Rückkehr zum Hof gekommen war, trug ich meinen Bauch schon deutlich sichtbar und stolz vor mir her. Mir war klar, daß ich Anne die Neuigkeit mitteilen mußte. Sie würde mich hoffentlich vor der Wut meines Onkels über diese Schwangerschaft in |527| Schutz nehmen, so wie ich dem König ihre Fehlgeburt verheimlicht hatte.
Ich hatte Glück. Als ich in Greenwich eintraf, war der König zur Jagd ausgeritten, und beinahe der gesamte Hofstaat begleitete ihn. Anne saß im Garten auf einer
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