Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
Damen flirteten, spielten und würfelten, als sei alles wie immer. Ich saß bei Anne in ihrem Schlafgemach und schickte in ihrem Namen eine Botschaft an den König, sie sei müde und würde ihn vor dem Abendessen sehen. Meine Mutter, die durch Georges betonte Sorglosigkeit und mein Verschwinden aufmerksam geworden war, kam zu uns. Sie warf nur einen einzigen Blick auf Anne in ihrem betäubten Schlaf und auf die blutigen Laken und wurde kreidebleich.
»Wir haben unser Bestes getan«, sagte ich verzweifelt.
»Weiß sonst jemand davon?« fragte sie.
»Niemand. Nicht einmal der König.«
Sie nickte. »So lassen wir es.«
Der Tag zog sich hin. Anne begann zu schwitzen, und ich bekam Zweifel an dem Molketrank der Kräuterfrau. Ich befühlte ihre Stirn und spürte die Hitze unter meinen Fingern. Ich schaute meine Mutter an. »Ihre Temperatur ist zu hoch.« Meine Mutter zuckte die Achseln.
Annes Kopf schlug auf dem Kissen hin und her, dann bäumte sie sich plötzlich auf, krümmte sich zusammen und stöhnte laut. Meine Mutter riß ihr die Decke weg, und wir sahen den mächtigen Blutfluß und einen dunklen Klumpen. Anne fiel mit einem herzzerreißenden, jämmerlichen Schrei in die Kissen zurück und blieb reglos liegen.
Ich befühlte noch einmal ihre Stirn und legte mein Ohr an ihre Brust. Das Herz schlug regelmäßig und stark, aber ihre Augen waren geschlossen. Mit eisiger Miene raffte meine Mutter die Laken zusammen und wickelte sie um die dunkle Masse. Sie ging zum Kamin, in dem ein kleines Sommerfeuer flackerte.
»Schüre es«, gebot sie mir.
Ich zögerte und blickte auf Anne. »Sie hat hohes Fieber.«
»Das hier ist wichtiger«, sagte meine Mutter. »Es muß alles weg sein, ehe auch nur jemand etwas ahnt.«
Ich stocherte mit dem Schürhaken in der Glut herum. Meine |523| Mutter kniete sich neben den Kamin, riß einen Streifen vom Laken ab und warf ihn in die Flammen, wo er sich krümmte und zischend verbrannte. Geduldig riß sie immer weitere Streifen ab, bis sie in dem blutigen Bündel zu den Überresten von Annes Kind kam. »Leg Holz nach«, befahl sie mir.
Ich blickte sie entsetzt an. »Sollten wir es nicht beerdigen?«
»Leg Holz nach«, keifte sie. »Wie lange, glaubst du, werden wir uns halten können, wenn jeder weiß, daß sie kein Kind austragen kann?«
Ich las in ihrer Miene nichts als unbeugsamen Willen. Ich häufte kleine, duftende Kiefernzapfen auf das Feuer, und als sie hell flackerten, packten wir das Bündel auf die Flammen, hockten da wie zwei alte Hexen und beobachteten, wie das, was von Annes Kind noch übrig war, als Rauch durch den Schornstein zog.
Als das Laken vollständig verbrannt und auch die zischende, dunkle Masse verschwunden war, warf meine Mutter noch mehr Kiefernzapfen und Kräuter vom Fußboden in das Feuer, um die Luft im Raum zu reinigen. Erst dann kümmerte sie sich wieder um ihre Tochter.
Anne war wach. Sie lehnte auf einem Ellbogen und betrachtete uns mit glasigen Augen.
»Anne?« fragte meine Mutter.
Mit größter Anstrengung wandte sie den Blick zu ihr.
»Dein Kind ist tot«, sagte meine Mutter ohne Umschweife. »Tot und verschwunden. Du mußt jetzt schlafen und gesund werden. Ich erwarte, daß du noch heute wieder auf den Beinen bist. Hörst du? Wenn dich jemand nach dem Kind fragt, dann sagst du, daß du dich geirrt hast. Es hat niemals ein Kind gegeben, und du hast auch niemandem erzählt, daß du ein Kind unter dem Herzen trägst. Aber ganz gewiß wird bald eines kommen.«
Anne starrte meine Mutter mit ausdrucksloser Miene an. Einen Augenblick lang fürchtete ich, der Trank, der Schmerz und die Hitze hätten ihr den Verstand geraubt, sie würde nun immer so leer starren.
»Auch dem König sagst du das«, beharrte meine Mutter mit |524| kalter Stimme. »Erzähl ihm einfach, daß du dich geirrt hast, daß du nicht schwanger warst. Ein Irrtum ist eine unschuldige Sache, eine Fehlgeburt ist ein Beweis für eine Sünde.«
Annes Gesicht blieb unverändert. Sie beteuerte nicht einmal ihre Unschuld. Ich dachte, sie sei taub geworden. »Anne?« fragte ich sanft.
Sie wandte sich zu mir um. Als sie meine entsetzten Augen und den Ruß auf meinem Gesicht sah, wandelte sich ihr Gesichtsausdruck. Sie begriff, daß etwas Furchtbares geschehen war.
»Wieso siehst eigentlich
du
so schrecklich aus?« fragte sie barsch. »Dir ist ja schließlich nichts passiert, oder?«
»Ich berichte es eurem Onkel«, sagte meine Mutter. An der Tür hielt sie kurz inne und schaute mich
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