Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
barsch. »Wenn die Egel angesetzt sind, kannst du dich wieder an seinem Bett niederlassen.«
|595| Ich blieb beim Fenster sitzen und schaute krampfhaft in die andere Richtung, versuchte, nicht das Klirren der Gläser zu hören, als man die schwarzen Würmer auf die Beine des Königs setzte und sie an dem eitrigen Fleisch saugen ließ. Schließlich rief mich George. »Komm wieder her, es ist nichts mehr zu sehen.« Ich kehrte an meinen Platz beim Kopfende zurück und harrte dort aus, bis sich die Egel vollgesogen hatten und von der Wunde abgenommen werden konnten.
Ich hielt die Hand des Königs und streichelte sie, wie man einen kranken Hund sanft streichelt, als er plötzlich fester zupackte. Er schlug die Augen auf, und sie waren klar und wach. »Großer Gott«, seufzte er. »Mir tut jeder Knochen im Leibe weh.«
»Ihr seid vom Pferd gestürzt«, erklärte ich ihm und versuchte herauszufinden, ob er wußte, wo er sich befand.
»Daran erinnere ich mich«, meinte er. »Aber nicht daran, wie ich in den Palast zurückgekommen bin.«
»Wir haben Euch hereingetragen.« George kam vom Fenster zu uns. »Und die Treppe hinauf. Ihr wolltet Mary bei Euch haben.«
Henry warf mir ein leicht überraschtes Lächeln zu. »Wirklich?«
»Ihr wart nur halb bei Bewußtsein«, antwortete ich. »Ihr habt phantasiert. Gottlob geht es Euch inzwischen besser.«
»Ich schicke eine Nachricht an die Königin.« George befahl einem der Wachtposten, Anne zu berichten, daß der König wieder wohlauf sei.
Henry lachte. »Ihr habt bestimmt alle ordentlich geschwitzt.« Er versuchte sich im Bett umzudrehen, und sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerzen. »Heiliges Kreuz! Mein Bein!«
»Eure alte Wunde ist wieder aufgebrochen«, antwortete ich. »Sie haben Euch Blutegel angesetzt.«
»Blutegel. Ich brauche einen Breiumschlag. Katherine weiß, wie man den macht, geht und fragt sie …« Er biß sich auf die Lippen. »Irgend jemand sollte wissen, wie man diese Wunde behandelt«, meinte er. »Um Himmels willen. Irgend jemand |596| sollte das Rezept kennen.« Er schwieg eine Weile. »Gebt mir Wein.«
Ein Page kam mit einem Becher gerannt, den George dem König an die Lippen hielt. Langsam bekam er wieder Farbe und wandte seine Aufmerksamkeit erneut mir zu. »Wer hat den ersten Schritt unternommen?« fragte er neugierig. »Seymour, Howard oder Percy? Wer wollte den Thron für meine Tochter warmhalten und sich Regent nennen, solange sie noch minderjährig ist?«
George kannte Henry zu gut, um sich zu einem Bekenntnis verleiten zu lassen. »Der ganze Hofstaat hat auf den Knien gelegen«, erwiderte er. »Niemand hat an etwas anderes gedacht als an Euer Wohlergehen.«
Henry nickte, glaubte aber kein Wort.
»Ich teile es jetzt dem Hof mit«, meinte George. »Man wird einen Dankgottesdienst halten. Wir hatten schreckliche Angst.«
»Besorgt mir mehr Wein«, schmollte Henry. »Ich habe Schmerzen, als sei mir jeder einzelne Knochen im Leib gebrochen.«
»Soll ich Euch allein lassen?« fragte ich.
»Bleibt«, erwiderte er leichthin. »Aber hebt die Kissen in meinem Rücken ein wenig an. Ich merke, wie mir der Rücken beim Liegen steif wird. Welcher Idiot hat mich so flach hingelegt?«
Ich dachte an den Augenblick, als wir ihn von der Trage auf sein Bett manövriert hatten. »Wir hatten Angst, Euch zuviel zu bewegen.«
»Wie die Hühner im Hühnerhof«, meinte er mit milder und zufriedener Miene, »denen man den Hahn weggenommen hat.«
»Gott sei Dank wurdet Ihr uns nicht weggenommen.«
»Ja«, sagte er mit kleinlicher Schadenfreude. »Es wäre schwer geworden für die Howards und die Boleyns, wenn ich heute gestorben wäre. Ihr habt Euch bei Eurem Aufstieg so viele Feinde gemacht, daß sich alle über Euren Fall sehr freuen würden.«
|597| »Ich dachte dabei nur an Eure Königliche Hoheit«, erwiderte ich sorgsam.
»Hätten sie meine Wünsche respektiert und Elizabeth auf den Thron gesetzt?« fragte er plötzlich sehr scharf. »Ich nehme an, Ihr Howards hättet Euch hinter einen von Euren Leuten gestellt. Aber was ist mit den anderen?«
Ich hielt seinem Blick stand. »Ich weiß es nicht.«
»Wenn ich einen männlichen Thronfolger hätte, würden sie ihre Treueschwüre halten. Meint Ihr, das hätten sie für die Prinzessin auch getan?«
Ich zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht. Ich kann es Euch nicht sagen, ich habe die ganze Zeit hier bei Euch gesessen.«
»Ihr würdet zu Elizabeth halten«, meinte er. »Regentschaft für Anne,
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