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Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin

Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin

Titel: Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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der Geheimen Offenbarung: Heilige, die in den Himmel aufstiegen, und Teufel, die in die Hölle stürzten. Plötzlich hörte ich Lärm vor dem Fenster. Ein Reiter kam in den Hof gesprengt.
    »Was ist?« Anne hob den Kopf von der Stickarbeit.
    Ich kniete mich auf die Bank beim Fenster, um nach unten zu spähen. »Es ist jemand in halsbrecherischem Tempo in den Stallhof geritten. Ich wüßte nur zu gern …«
    Im nächsten Augenblick raste die königliche Kutsche, von zwei kräftigen Pferden gezogen, vom Schloß fort.
    |588| »Was ist los?« fragte Anne hinter mir.
    »Nichts«, erwiderte ich und dachte an ihr Kind. »Nichts.«
    Sie erhob sich und schaute mir über die Schulter. Die Kutsche war schon außer Sichtweite.
    »Es ist jemand in den Stall geritten gekommen«, antwortete ich. »Vielleicht hat das Pferd des Königs ein Hufeisen verloren. Du weißt doch, wie sehr er es haßt, wenn er auch nur für kurze Zeit kein Pferd hat.«
    Sie nickte, blieb aber bei mir stehen, lehnte sich an meine Schulter und schaute auf die Straße. »Da kommt Onkel Howard.«
    Angeführt von seinem Standartenträger und begleitet von einem kleinen Trupp seiner Männer, kam mein Onkel in den Stallhof geritten.
    Anne setzte sich wieder. Kurz darauf hörten wir das Palasttor zufallen, und er polterte mit seinen Mannen die Treppe hinauf. Anne blickte fragend auf, als er in ihr Gemach trat. Er verneigte sich. Seine Verbeugung war tiefer als sonst, das machte mich stutzig. Anne stand auf, und die Stickarbeit fiel ihr vom Schoß, eine Hand fuhr zum Mund, die andere lag auf ihrem lose geschnürten Mieder.
    »Onkel?«
    »Ich bedaure, Euch mitteilen zu müssen, daß Seine Majestät vom Pferd gestürzt sind.«
    »Ist er verletzt?«
    »Schwer verletzt.«
    Anne erbleichte und schwankte.
    »Wir müssen Vorbereitungen treffen«, sagte mein Onkel mit fester Stimme.
    Ich drückte Anne auf einen Stuhl und schaute zu ihm empor. »Vorbereitungen wofür?«
    »Wenn er stirbt, müssen wir London und den Norden sichern. Anne muß als Regentin handeln, bis wir einen Kronrat eingerichtet haben. Ich vertrete sie.«
    »Wenn er stirbt?« wiederholte Anne.
    »Wenn Henry tot ist, müssen wir das Land zusammenhalten«, wiederholte mein Onkel. »Es dauert noch lange, bis das |589| Kind in Eurem Bauch ein erwachsener Mann ist. Wir müssen Pläne machen. Wir müssen bereit sein, das Land zu verteidigen. Wenn Henry tot ist …«
    »Tot?« fragte sie wieder.
    Onkel Howard blickte zu mir. »Eure Schwester wird es Euch erklären. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Wir müssen uns das Königreich sichern.«
    Annes Gesicht war schreckensbleich, sie konnte sich eine Welt ohne Henry nicht vorstellen. Sie war völlig unfähig, das Königreich zu sichern oder auch nur den Anweisungen meines Onkels zu folgen.
    »Ich mache es«, sagte ich rasch. »Ich setze das Schreiben auf und unterzeichne es. Onkel Howard, Ihr könnt das von ihr jetzt nicht verlangen. Sie darf sich nicht aufregen, wir müssen an die Sicherheit des Kindes denken. Anne und ich haben eine ähnliche Schrift, wir haben schon früher die Leute damit getäuscht. Ich kann das für sie erledigen.«
    Das stimmte ihn etwas froher. Ein Boleyn-Mädchen war für ihn so gut wie das andere. Er zog einen Schemel an den Schreibtisch. »Fang an«, sagte er knapp. »Seid versichert …«
    Anne lehnte sich in ihrem Sessel zurück, immer noch eine Hand auf dem Bauch, die andere vor dem Mund, und starrte aus dem Fenster. Je länger sie auf den König warten mußte, desto schlimmer mußte es um ihn stehen. Ein Mann, den ein Sturz vom Pferd nur durchgerüttelt hat, wird rasch nach Hause gebracht. Aber einer, der schwer verletzt, vielleicht dem Tode nah ist, wird vorsichtiger transportiert. Ich schaute zum Stallhof hinunter. Allmählich begriff ich, daß all unsere Sicherheit zerbröckelte. Wenn der König starb, waren wir alle ruiniert. Das Land wäre erneut zerrissen, weil jeder Lord nur für sich kämpfen würde. Es würde so sein wie vor der Zeit von Henrys Vater, der England geeint hatte: York gegen Lancaster und jeder für sich. Jede Grafschaft hätte wieder ihren eigenen Herrscher, und niemand mehr würde vor dem einen wahren König die Knie beugen.
    Anne bemerkte mein entsetztes Gesicht.
    »Tot?« fragte sie mich.
    |590| Ich stand vom Tisch auf und nahm ihre kalten Hände in die meinen.
    »O Gott, bitte nicht«, antwortete ich.
     
    Man brachte ihn herein. Die Träger gingen so langsam, als wären die Bretter, auf denen der König

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