Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
George zur Seite und wählte statt dessen Janes Bruder. |602| Anne, George und ich sahen schweigend zu, wie ein Seymour dem König wieder auf den Thron half.
»Ich bring sie um«, sagte Anne leise.
Ich lag auf ihrem Bett und ließ träge einen Arm baumeln. George lümmelte am Kamin herum, und Anne saß vor dem Spiegel, während ihr die Zofe das Haar kämmte.
»Das erledige ich gern für dich«, erwiderte ich. »Sie stellt sich als Heilige hin.«
»Sie macht das sehr gut«, kommentierte George mit Kennermiene. »Ganz anders als ihr beide. Sie hat immer Mitleid mit ihm. Ich glaube, das ist ungeheuer verführerisch.«
»Diese lästige Ziege«, quetschte Anne zwischen den Zähnen hervor. Sie nahm ihrer Zofe den Kamm ab. »Du kannst jetzt gehen.«
George schenkte uns allen noch ein Glas Wein ein.
»Ich sollte auch verschwinden«, meinte ich. »William wartet sicher schon.«
»Du bleibst«, befahl Anne.
»Jawohl, Majestät«, erwiderte ich gehorsam.
Sie warf mir einen harten, warnenden Blick zu.
»Soll ich diese Seymour-Ziege vom Hof verbannen?« fragte sie George. »Ich dulde es nicht, daß sie den ganzen Tag lang mit ihrem einfältigen Lächeln um den König herumscharwenzelt. Es macht mich wütend.«
»Laß sie in Ruhe«, riet ihr George. »Wenn es ihm wieder gut geht, verlangt es ihn bestimmt wieder nach ein bißchen mehr Feuer. Aber keife ihn nicht immer so an. Er war heute sehr böse auf dich, und daran bist ganz allein du schuld gewesen.«
»Ich kann es nicht leiden, wenn er so herumjammert«, erwiderte sie. »Er ist doch nicht gestorben, oder? Warum ist er wegen nichts und wieder nichts derart niedergeschlagen?«
»Er hat Angst. Er ist kein Jüngling mehr.«
»Wenn sie noch einmal mit ihrem süßen Lächeln um ihn herumschleicht, rutscht mir die Hand aus«, sagte Anne. »Du kannst sie schon mal vorwarnen, Mary. Wenn ich sie noch einmal |603| erwische, daß sie ihn mit diesem Madonnenlächeln angrinst, dann sorge ich dafür, daß ihr das Lächeln vergeht.«
Ich kletterte vom Bett. »Ich sage es ihr. Wenn auch mit etwas anderen Worten. Kann ich jetzt gehen, Anne? Ich bin sehr müde.«
»Nun gut«, erwiderte sie gereizt. »Du bleibst doch noch bei mir, George?«
»Deine Frau wird wieder tratschen«, warnte ich ihn. »Sie erzählt ohnehin schon überall, daß du immer hier bist.«
Ich dachte, Anne würde diese Bemerkung mit einem Achselzucken abtun, aber sie wechselte einen Blick mit George, und der erhob sich ebenfalls.
»Muß ich denn immer allein sein?« fragte sie. »Allein spazierengehen, allein beten, allein im Bett liegen?«
George zögerte bei diesen trostlosen Worten.
»Ja«, erwiderte ich furchtlos. »Du wolltest Königin werden. Ich habe dich gewarnt, daß es dir keine Freude bringen würde.«
Am anderen Morgen gingen Jane Seymour und ich nebeneinander zur Messe. Wir kamen an der offenen Tür zu den Gemächern des Königs vorüber. Er saß am Tisch, das verletzte Bein auf einen Schemel gestützt, einen Schreiber neben sich, der ihm Briefe vorlas und zur Unterschrift vorlegte. Im Vorübergehen verlangsamte Jane ihre Schritte und lächelte ihm zu. Er schaute kurz zu ihr auf.
In der Kapelle der Königin knieten Jane und ich nebeneinander und hörten die Messe.
»Jane«, sagte ich leise.
Sie schrak auf, war wohl ins Gebet versunken gewesen.
»Ja, Mary? Verzeiht, ich habe gerade gebetet.«
»Wenn Ihr weiter mit dem König flirtet und ihn so widerwärtig süßlich anlächelt, kratzt Euch eine von uns Boleyns sicherlich eines Tages die Augen aus.«
Während ihrer Schwangerschaft hatte Anne es sich angewöhnt, am Fluß entlang bis zum Bowlingplatz zu spazieren, |604| dann durch die Eibenallee, an den Tennisplätzen entlang und zurück zum Palast. Ich ging immer mit, und auch George wich nicht von ihrer Seite. Die meisten Hofdamen schlossen sich uns ebenfalls an sowie einige der Herren des Königs, da der am Nachmittag nicht zur Jagd ritt. George und Sir Francis Weston nahmen Anne zwischen sich, brachten sie zum Lachen, reichten ihr den Arm und halfen ihr die Stufen zum Bowlingrasen hinauf. Ein anderer Herr aus unserem engeren Kreis, entweder Henry Norris oder Sir Thomas Wyatt oder William, begleitete mich.
Eines Tages war Anne sehr müde, und wir kürzten den Spaziergang ab. Als wir wieder in den Palast zurückkehrten, hatte sie sich bei George eingehängt, und ich folgte wenige Schritte dahinter mit Henry Norris. Die Wachen stießen für uns die Türen zu ihren Gemächern
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