Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
Bierschenke zu essen, während ich zu Hause blieb und mit der Kleinen spielte. Am Nachmittag unternahm ich mit ihr einen Spaziergang hinunter zum Flußufer. Wieder zu Hause, badete ich sie und ließ sie in der Obhut der Amme zurück, als ich nach dem Abendessen mit William und Henry zum großen Tor des Tower ging. Wir baten, Catherine sehen zu dürfen.
Sie wirkte winzig klein, wie sie da vom Beauchamp Tower an der inneren Befestigungsmauer entlang zum Tor kam. Aber sie ging wie ein Boleyn-Mädchen, als gehöre ihr der Palast. Hoch erhobenen Hauptes blickte sie um sich, warf einem der Wachleute ein freundliches Lächeln zu und strahlte mich dann durch das Gitter hindurch an, während man die kleine Nebenpforte im großen Eingangstor aufsperrte und sie hinausließ.
Ich schloß sie fest in die Arme. »Meine Liebe.«
Sie umklammerte mich auch und sprang dann zu Henry. »Hen!«
»Cat!«
Sie schauten einander begeistert an. »Gewachsen«, sagte sie.
»Fetter geworden«, erwiderte er.
William lächelte mir über ihre Köpfe hinweg zu. »Glaubst du, die beiden reden jemals in ganzen Sätzen?«
»Catherine, ich habe an Anne geschrieben und sie gebeten, dich freizugeben«, sagte ich hastig. »Ich möchte, daß du hier wegkommst.«
Sie schaute sofort sehr ernst. »Ich kann nicht. Sie ist so bekümmert. So hat man sie noch nie gesehen. Ich kann sie nicht verlassen. Die anderen Damen in ihrer Umgebung taugen rein gar nichts, zwei haben keine Ahnung, was sie tun, und die anderen beiden sind Tante Boleyn und Tante Shelton. Die sitzen ständig in ihrer Ecke und tuscheln hinter vorgehaltener Hand. Ich kann sie nicht mit ihnen allein lassen.«
»Was macht sie denn den ganzen Tag?« fragte Henry.
Catherine errötete. »Sie weint und betet. Deswegen kann ich sie nicht allein lassen. Ich kann einfach nicht weggehen. Es |667| wäre, als ließe man ein Kleinkind im Stich. Sie kann nicht für sich sorgen.«
»Bekommst du genug zu essen?« fragte ich mutlos. »Wo schläfst du?«
»Bei ihr«, erwiderte Catherine. »Aber sie schläft kaum. Wir essen beinahe so gut wie bei Hof. Es ist in Ordnung, Mutter. Und es ist ja nicht für lange.«
»Woher weißt du das?«
Der Hauptmann der Wache lehnte sich vor und sagte leise zu William: »Vorsicht, Sir William.«
William schaute mich an. »Wir haben versprochen, die Angelegenheit nicht mit Catherine zu besprechen. Wir haben nur die Erlaubnis, uns zu überzeugen, daß es ihr gut geht.«
Ich holte tief Luft. »Nun gut. Aber Catherine, wenn es länger als eine Woche dauert, dann mußt du hier weg.«
»Ich mache, was du mir sagst«, antwortete sie gehorsam.
»Brauchst du irgend etwas? Soll ich dir morgen etwas mitbringen?«
»Saubere Wäsche«, erwiderte sie. »Und die Königin braucht noch ein, zwei andere Kleider. Kannst du sie aus Greenwich holen?«
»Ja«, sagte ich resigniert. Es schien mir, als hätte ich mein gesamtes Leben damit verbracht, für Anne Botengänge zu erledigen. Sogar jetzt, in dieser großen Krise, mußte ich noch nach ihrer Pfeife tanzen.
William schaute den Hauptmann der Wache an. »Erlaubt Ihr das, Herr Hauptmann? Daß meine Frau Wäsche und Kleider für die Damen bringt?«
»Ja, Sir«, antwortete der Mann. Er tippte an seine Mütze. »Natürlich.«
Ich lächelte bitter. Niemand hatte je eine Königin ohne Anklage und Beweise ins Gefängnis gesteckt. Es war für ihn schwer zu ermessen, was er um seiner eigenen Sicherheit willen tun oder lassen sollte.
Ich drückte Catherine noch einmal an mich. Ich konnte es kaum ertragen, sie gehen zu lassen, aber sie schlüpfte wieder durch das Tor zum Tower und ging über den gepflasterten |668| Weg zurück in den großen Schatten des Turms, hielt noch einmal inne, winkte uns und war verschwunden.
William hob zum Gruß die Hand und drehte sich dann zu mir um. »An einem hat es euch Boleyns ja nie gefehlt, und das ist ein völlig irrwitziger Mut«, sagte er. »Wenn ihr Pferde wäret, würde ich mir niemals eine andere Rasse halten. Ihr überspringt jede Hürde. Aber als Frauen seid ihr einfach nur unglaublich schwierige Gefährtinnen.«
|669| Mai 1536
Ich nahm ein Boot flußabwärts nach Greenwich, um Kleider für die Königin und Wäsche für Catherine zu holen. William, Henry und die Kleine ließ ich in unserer Unterkunft beim Tower zurück. William war beunruhigt, als ich ohne ihn fortging, und auch ich fürchtete mich. Ich hatte das Gefühl, mich in Gefahr zu begeben, wenn ich in den Greenwich Palace zurückkehrte.
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