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Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin

Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin

Titel: Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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Henry Norris ist bereits dort. Der König selbst ist mit ihm gestern zum Tower geritten. Und Mark Smeaton – du erinnerst dich an den Sänger? –, der ist auch da eingesperrt.«
    Ich brachte kein Wort heraus. »Aber wie lautet die Anklage? Warum befragen sie die Königin hier?«
    Er zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht.«
     
    Wir mußten bis zum Mittag warten, ehe wir weitere Neuigkeiten erfuhren. Ich hielt mich im Flur vor dem Gemach auf, in dem der Staatsrat die Königin befragte. In den Vorraum ließ man mich nicht, weil man fürchtete, ich würde an der Tür lauschen.
    »Ich will nicht lauschen, ich will nur meine Tochter sehen«, erklärte ich dem Wachtposten. Er nickte, winkte mich aber von der Schwelle fort.
    Kurz nach Mittag ging die Tür auf, ein Page trat heraus und flüsterte dem Wachtposten etwas zu. »Ihr müßt gehen«, sagte der zu mir. »Ich habe Befehl, den Ausgang zu räumen.«
    »Warum?« fragte ich.
    »Ihr müßt gehen«, wiederholte er stur. Er rief etwas die Treppe hinunter in den Großen Saal und bekam von unten eine Antwort zugebrüllt. Sanft schoben sie mich zur Seite, fort von der Tür zu den Räumen des Staatsrats, weg von der Gartentür und dann aus dem Garten. Alle anderen Höflinge, die wir unterwegs trafen, wurden ebenfalls zur Seite gedrängt. Wir taten alle, was man uns gebot. Es war, als hätten wir erst jetzt begriffen, wie mächtig der König war.
    Ich bemerkte, daß man einen Weg vom Sitzungsraum des Staatsrats bis zur Treppe zum Fluß geräumt hatte. Ich rannte zum Landesteg, wo die gewöhnlichen Menschen an Land gingen, wenn sie in den Palast mußten. An diesem Steg waren keine Wachen, niemand hinderte mich daran, mich an seine |660| äußerste Kante zu stellen und mit zusammengekniffenen Augen auf die Palasttreppe von Greenwich zu schauen.
    Ich sah sie ganz deutlich: Anne in ihrem blauen Gewand, das sie auf der Tennistribüne getragen hatte, Catherine einen Schritt hinter ihr in ihrem gelben Kleid. Ich war froh, daß sie ihren Umhang dabei hatte, falls es auf dem Fluß kalt sein würde, und schüttelte dann den Kopf über mich, weil ich mir Sorgen machte, sie könnte sich erkälten, während ich nicht einmal wußte, wohin man sie brachte. Ich schaute gebannt hinüber, als könnte ich mein Kind dadurch schützen. Sie würden in der Barke des Königs fahren, nicht im Boot der Königin.
    »Wohin bringt man euch?« schrie ich, so laut ich konnte, unfähig, meine Furcht noch länger zu unterdrücken.
    Anne hörte mich nicht, aber ich bemerkte, wie Catherine ihr blasses Gesicht in meine Richtung wandte und mich überall in den Palastgärten suchte.
    »Hier! Hier!« brüllte ich noch lauter und winkte. Sie entdeckte mich und hob ein wenig die Hand, dann folgte sie Anne.
    Kaum waren sie an Bord, da stießen die Soldaten das Boot schon vom Ufer ab. Durch die plötzliche Bewegung wurden die beiden auf die Sitze geschleudert, und ich verlor sie einen Augenblick aus den Augen. Dann erblickte ich sie wieder. Catherine saß auf einem kleinen Stuhl neben Anne und schaute über das Wasser hinweg zu mir herüber. Die Ruderer manövrierten die Barke auf den Fluß und kamen dank der steigenden Flut mühelos voran.
    Ich versuchte nicht, noch einmal zu rufen, denn ich wußte, daß der Trommelschlag der Ruderer meine Stimme übertönen würde, und ich wollte Catherine nicht erschrecken. Ich stand still da und hob nur die Hand, um ihr mitzuteilen, daß ich wußte, wo sie sich befand und wohin sie unterwegs war, und daß ich sie so schnell wie möglich holen würde.
    Ich spürte, daß William hinter mir stand. Auch er grüßte unsere Tochter mit erhobenem Arm. »Wohin bringen sie die beiden wohl, was meinst du?« fragte er, als wüßte er die Antwort nicht ebensogut wie ich.
    |661| »Du weißt, wohin«, erwiderte ich. »Warum fragst du? An den schlimmsten Ort, den wir uns vorstellen können. In den Tower.«
     
    William und ich verschwendeten keine Zeit. Wie gingen unverzüglich in unsere Gemächer, warfen ein paar Kleidungsstücke in eine Tasche und eilten zu den Ställen. Dort wartete Henry mit den Pferden, umarmte mich kurz und lächelte mir strahlend zu, ehe mir William in den Sattel half und selbst aufs Pferd stieg. Wir nahmen Catherines frisch beschlagene Stute mit. Henry führte sie neben seinem eigenen Jagdpferd, während William das gedrungene Pferd der Amme am Zügel hielt. Sie wartete schon auf uns, und bald hatten wir ihr in den Sattel geholfen und ihr das Kind sicher vor die

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