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Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin

Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin

Titel: Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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dich«, sagte sie.
    Ich zögerte. »Vielleicht komme ich heute nacht nicht zurück.«
    Sie nickte. »Das hoffe ich. Aber ich bleibe ohnehin wach. Ich setze mich an den Kamin und schaue zu, wie die Dämmerung hereinbricht.«
    Ich dachte einen Augenblick daran, wie sie in ihrem jungfräulichen Schlafgemach für mich Nachtwache hielt, während ich geborgen und geliebt im Bett des englischen Königs schlummerte. »Mein Gott, wie sehr mußt du dir wünschen, daß du es wärst!« sagte ich mit plötzlicher Wonne.
    Sie zuckte nicht mit der Wimper. »Natürlich. Er ist schließlich der König.«
    |86| »Und er will
mich
«, betonte ich noch einmal nachdrücklich.
    George verneigte sich, bot mir seinen Arm und führte mich über die schmale Treppe bis zum Vorraum des großen Saals. Wir schritten hindurch wie Gespenster. Niemand sah uns. Einige Küchenjungen schliefen in der Asche des Feuers, und ein halbes Dutzend Männer schlummerte an den Tischen ringsum im Raum mit auf die Brust gesunkenen Köpfen.
    Wir gingen durch die Tür, die zu den Privatgemächern des Königs führte. Das breite Treppenhaus war prächtig mit herrlichen Gobelins ausgehängt. Im Mondlicht wirkten die sonst strahlenden Farben der Seide blaß. Vor dem Audienzzimmer standen zwei Bewaffnete, die beiseite traten, als sie mich mit meinem offenen goldenen Haar und dem selbstbewußten Lächeln kommen sahen.
    Das Audienzzimmer hinter der zweiflügeligen Tür war eine Überraschung für mich. Ich hatte es immer nur voller Menschen gesehen. Hierher kamen alle, um den König von Angesicht zu Angesicht zu sehen. Bittsteller bestachen hochrangige Höflinge, damit sie ihnen erlaubten, einfach nur hier zu stehen, wo der König sie vielleicht bemerken und fragen würde, wie es ihnen ginge und was sie von ihm wünschten. Ich hatte diesen großen Raum mit seinem hohen Gewölbe nie anders erblickt als voller Menschen in den prächtigsten Kleidern, die alle verzweifelt darauf bedacht waren, seine Aufmerksamkeit zu erheischen. Jetzt war der Raum still und finster. Georges umfaßte meine kalten Fingerspitzen fest mit seiner Hand.
    Vor uns lagen die Privatgemächer des Königs. Zwei Bewaffnete standen mit gekreuzten Hellebarden vor der Tür. »Seine Majestät hat unsere Anwesenheit befohlen«, sagte George knapp.
    Die Hellebarden klirrten kurz aneinander, dann salutierten die beiden Bewaffneten und stießen die zweiflügelige Tür auf.
     
    Der König saß am Kamin und war in einen warmen Samtumhang mit Pelzbesatz gehüllt. Als er die Tür hörte, sprang er auf.
    |87| Ich machte einen tiefen Hofknicks. »Ihr habt nach mir geschickt, Eure Majestät.«
    Er konnte seine Augen nicht von meinem Gesicht wenden. »Ja. Und ich danke Euch, daß Ihr gekommen seid. Ich wollte Euch sehen … Ich wollte reden … Ich wollte ein wenig …« Schließlich unterbrach er sich. »Ich wollte Euch.«
    Ich trat näher. Aus dieser Entfernung würde er Annes Parfüm riechen, dachte ich. Ich sah seinen Blick, der von meinem Gesicht zu meinem Haar und wieder zurück wanderte. Hinter mir hörte ich die Tür, als George uns ohne ein Wort verließ. Henry bemerkte nicht einmal, daß er ging.
    »Ich fühle mich geehrt, Majestät«, murmelte ich.
    Er schüttelte den Kopf, nicht ungeduldig, sondern wie ein Mann, der keine Zeit mit Spielereien zu verlieren hat. »Ich will Euch«, sagte er noch einmal, völlig ausdruckslos, als wäre das alles, was eine Frau wissen müsse. »Ich will Euch, Mary Boleyn.«
    Ich trat einen kleinen Schritt näher. Ich lehnte mich zu ihm hin. Ich spürte die Wärme seines Atems und dann die Berührung seiner Lippen auf meinem Haar. Ich bewegte mich weder vor noch zurück.
    »Mary«, flüsterte er, und seine Stimme erstickte beinahe vor Begierde.
    »Majestät?«
    »Bitte, nennt mich Henry. Ich möchte meinen Namen aus Eurem Mund hören.«
    »Henry.«
    »Wollt Ihr mich?« flüsterte er. »Als Mann? Wenn ich ein Bauer auf dem Landgut Eures Vaters wäre, würdet Ihr mich dann wollen?« Er lüpfte mir mit der Hand das Kinn, damit er mir in die Augen schauen konnte. Ich erwiderte seinen strahlend blauen Blick. Vorsichtig und zart erhob ich die Hand zu seinem Gesicht und spürte seinen weichen, lockigen Bart. Bei meiner Berührung schloß er sofort die Augen, wandte dann das Gesicht um und küßte meine Hand, die sein Kinn umfangen hielt.
    »Ja«, antwortete ich, und es war mir gleichgültig, daß das |88| Unsinn war. Ich konnte mir diesen Mann nur als König von England vorstellen. Er

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