Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
auch ziemlich abscheulich. Neulich habe ich ihr ein Bad bereiten lassen. Man hat mir berichtet, daß sie nur dazu zu bringen war, sich die Füße waschen zu lassen. Beim Essen summt sie ständig leise vor sich hin und merkt es nicht einmal. Sie glaubt, daß sie wie in den guten alten Zeiten ein offenes Haus
|160|
führen sollte. Ausnahmslos alle, von den Bettlern von Tonbridge bis hin zu den Bauern von Edenbridge, sind herzlich willkommen im großen Saal, sehen uns beim Essen zu, als wären wir der König persönlich und hätten nichts anderes zu tun, als unser Geld zu verschenken.
Bitte, bitte, sag Onkel und Vater, daß ich bereit bin, an den Hof zurückzukehren. Ich werde alles tun, was sie mir befehlen. Sie haben von mir nichts zu befürchten. Ich würde wirklich alles tun, um von hier fortzukommen.
Ich schrieb sofort eine Antwort.
Du kannst bald an den Hof zurückkehren, da bin ich sicher. Denn man hat Henry Percy gegen seinen Willen mit Lady Mary Talbot verlobt. Es heißt, er habe geweint, als er sein Gelübde sprach. Er ist fortgezogen, um mit seinen eigenen Mannen unter der Fahne von Northumberland die schottische Grenze zu verteidigen. Die Percys müssen Northumberland sichern, während die englische Armee wieder nach Frankreich zieht, um zusammen mit den spanischen Verbündeten zu vollenden, was letzten Sommer begonnen wurde.
Georges Hochzeit mit Jane Parker soll diesen Monat endlich stattfinden. Ich frage Mutter, ob Du dabeisein darfst. Das wird sie Dir sicher nicht abschlagen.
Es geht mir gut, aber ich bin sehr müde. Das Kind ist schwer, und nachts bewegt es sich und tritt mich. Henry ist freundlicher denn je zu mir, und wir hoffen beide auf einen Jungen.
Ich wünschte, du wärest hier. Er will unbedingt einen Jungen. Ich fürchte mich beinahe davor, was geschehen wird, wenn es ein Mädchen ist. Wenn man nur irgend etwas tun könnte, damit es ein Knabe wird. Erzähle mir nichts von Spargel. Ich weiß alles über Spargel. Sie stopfen mich bei jeder Mahlzeit damit voll.
Die Königin beobachtet mich unablässig. Inzwischen kann ich die Rundung nicht mehr verbergen, und jedermann weiß, daß es das Kind des Königs ist. Zumindest bleibt William so erspart, daß man ihm zu unserem ersten Kind gratuliert. Jeder weiß es. Es hat sich eine Mauer des Schweigens gebildet, die die Situation
|161|
für alle erträglich macht, nur für mich nicht. Manchmal komme ich mir vor wie eine Närrin: Ich trage meinen Bauch vor mir her, gerate beim Treppensteigen außer Atem, und mein Ehemann lächelt mir zu wie einer Fremden.
Und die Königin …
Wie froh wäre ich, müßte ich nicht jeden Morgen und jeden Abend in ihrer Kapelle beten. Ich frage mich, worum sie noch betet, denn sie hat nun alle Hoffnung verloren. Ich wünschte, Du wärest hier. Ich vermisse sogar Dein scharfes Mundwerk.
Mary
Nach unzähligen Verzögerungen sollten George und Jane Parker endlich in der kleinen Kapelle von Greenwich getraut werden. Anne durfte für einen Tag von Hever herkommen, aber nur, vor allen Blicken verborgen, in einer der hohen Logen ganz hinten sitzen, an der Hochzeitsfeier jedoch nicht teilnehmen. Sie mußte bereits am Vortag herreiten. Wir drei, George, Anne und ich, wollten noch die Nacht zusammen verbringen, vom Abendessen bis zum Morgengrauen.
Wir bereiteten uns auf lange Gespräche vor. George brachte Wein, Ale und Dünnbier mit. Ich schlich mich in die Küche und schwatzte den Köchinnen Brot, Fleisch, Käse und Obst ab. Sie häuften mir nur zu gern den Teller voll, denn sie dachten, meine Schwangerschaft von sieben Monaten mache mich so hungrig.
Anne trug ihr umgeschneidertes Reitkostüm. Sie sah ungeheuer fein und viel älter als siebzehn aus. Ihre Haut war blaß. »Vom Spaziergehen im Regen mit der alten Hexe«, sagte sie bitter. Die Traurigkeit hatte ihr eine neue Gelassenheit verliehen. Es war, als hätte sie eine schwere Lektion gelernt: daß die Chancen ihr im Leben nicht wie reife Kirschen in den Schoß fallen würden. Und sie vermißte den jungen Mann, den sie liebte: Henry Percy.
»Ich träume von ihm«, gestand sie uns schlicht. »Ich wünschte mir so sehr, daß es nicht so wäre. Diese Trauer ist so sinnlos. Ich bin all dessen so müde. Klingt seltsam, nicht? Aber ich bin es so müde, immer traurig zu sein.«
|162| Ich blickte zu George. Er beobachtete Anne, und auf seinem Gesicht stand Mitleid.
»Wann heiratet er?« fragte Anne trübselig.
»Nächsten Monat«, erwiderte George.
Sie
Weitere Kostenlose Bücher