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Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin

Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin

Titel: Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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Straßenverkäufer aus dem Weg, und einer folgte uns nach. Anne war wie betäubt, nahm die wirbelnde Menschenmenge ringsum gar nicht wahr. George bugsierte Anne und mich durch den geschäftigen Trubel. Er war verzweifelt darauf bedacht, Anne nach Hause zu bringen, ehe der Sturm ihres hitzigen Temperaments losbrach.
    »Das ist doch eigentlich sehr gut gelaufen«, wiederholte er unerschütterlich.
    Wir erreichten einen Pier, wo einer der Bediensteten ein Boot herbeiwinkte. »York Place«, befahl George knapp.
    Wir fuhren rasch flußaufwärts. Anne schaute mit leerem Blick auf die Ufer zu beiden Seiten, an denen der Unrat der Stadt angeschwemmt worden war.
    Wir landeten in York Place. Der Bedienstete verneigte sich und nahm das Boot gleich wieder mit zurück in die Stadt. George hastete mit Anne und mir in unser Zimmer. Endlich fiel die Tür hinter uns zu.
    Da wirbelte Anne schon zu ihm herum und sprang ihn an wie eine Wildkatze. Er packte sie bei den Handgelenken und schaffte es gerade noch, sich vor ihren Klauen zu retten.
    »Sehr gut gelaufen?« kreischte sie. »Sehr gut? Wenn ich den |153| Mann verloren habe, den ich liebe, und meinen guten Ruf noch dazu? Wenn ich praktisch ruiniert bin, wenn ich aufs Land verbannt werde, bis mich alle vergessen haben? Sehr gut! Wenn mein eigener Vater nicht zu mir hält und meine eigene Mutter schwört, sie sähe mich lieber tot? Bist du verrückt geworden? Oder nur dumm, blind und gottverdammt blöde?«
    George hielt ihre Handgelenke fest. Sie versuchte ihm das Gesicht zu zerkratzen. Ich näherte mich von hinten und zerrte sie zurück, so daß sie ihm nicht mit ihren spitzen, hohen Absätzen auf den Fuß trampeln konnte. Alle drei taumelten wir herum wie Betrunkene. Ich wurde gegen das Fußende des Betts gedrückt, als sie sich auch gegen mich erbittert zur Wehr setzte. Doch ich hatte ihre Taille weiter fest umfangen, zog sie zurück, während George ihre Hände umklammert hielt, um sein Gesicht zu schützen. Ich hatte das Gefühl, als kämpften wir gegen etwas weitaus Schlimmeres als nur gegen Anne: gegen einen Dämonen, von dem wir Boleyns alle besessen waren – den Ehrgeiz, diesen Teufel, der uns in dieses kleine Gemach geführt hatte, der meine Schwester in diese wahnsinnige Verzweiflung getrieben hatte.
    »Frieden, um Gottes willen«, rief George ihr zu, während er versuchte, ihren Fingernägeln auszuweichen.
    »Frieden?« kreischte sie zurück. »Wie kann ich Frieden finden?«
    »Weil du verloren hast«, erwiderte George schlicht. »Es gibt für dich keinen Kampf mehr, Anne. Du hast verloren.«
    Einen Augenblick lang regte sie sich nicht. Doch wir waren vorsichtig und ließen sie noch nicht los. Sie starrte George an, sah aus, als sei sie wahnsinnig geworden. Dann warf sie den Kopf in den Nacken und lachte wild und verzweifelt.
    »Frieden!« schrie sie. »Mein Gott! Ich werde in Frieden sterben! Sie werden mich in Hever hocken lassen, bis ich friedlich tot bin. Und ich werde ihn niemals wiedersehen!«
    Bei diesen Worten brach sie in herzzerreißendes Schluchzen aus. Aller Kampfgeist wich aus ihr, und sie sackte in sich zusammen. George ließ ihre Handgelenke los und drückte sie an sich. Sie umarmte ihn und barg ihr Gesicht an seiner Brust. |154| Sie weinte heftig, stammelte vor Gram. Da spürte ich, daß auch mir die Tränen über die Wangen rannen, als ich begriff, was sie immer und immer wieder rief: »O Gott, ich habe ihn geliebt, ich habe ihn so geliebt. Er war meine einzige Liebe, meine einzige Liebe.«
     
    Die Familie verschwendete keine Zeit. Im Nu waren Annes Kleider zusammengepackt, ihr Pferd gesattelt. Man befahl George, sie noch am gleichen Tag nach Hever zu begleiten. Niemand benachrichtigte Lord Henry Percy von ihrer Abreise. Er schickte ihr einen Brief. Meine Mutter, die allgegenwärtig war, öffnete ihn und las ihn in aller Seelenruhe, ehe sie ihn ins Feuer warf.
    »Was hat er geschrieben?« fragte ich leise.
    »Ewige Liebe hat er geschworen«, erwiderte meine Mutter voller Abscheu.
    »Sollten wir ihm nicht mitteilen, daß sie fort ist?«
    Meine Mutter zuckte die Achseln. »Er wird es noch früh genug erfahren. Sein Vater trifft sich heute morgen mit ihm.«
    Ich nickte. Mittags kam ein weiterer Brief, auf dessen Umschlag mit zitternder Hand Annes Name geschrieben stand. Daneben war ein Klecks, vielleicht ein Tränenfleck. Meine Mutter öffnete auch diesen Brief mit versteinerter Miene, und dann ging er den Weg des ersten.
    »Lord Henry?« fragte ich.
    Sie

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