Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
einige Lieder geschrieben. Ich reite jeden Tag, ich gehe im Garten spazieren. Was gibt es auf dem Land sonst noch zu tun?«
»Ich bin herumgeritten und habe die Höfe besucht«, antwortete ich.
Sie zog eine Augenbraue in die Höhe. »Die sehen doch alle gleich aus. Überall wächst Gras.«
»Was liest du?«
»Theologie«, erwiderte sie knapp. »Hast du schon einmal etwas von Martin Luther gehört?«
»Natürlich habe ich von ihm gehört«, meinte ich verletzt. »Genug, um zu wissen, daß er ein Ketzer ist und man seine Bücher verboten hat.«
Anne lächelte mich geheimnisvoll an. »Ein Ketzer ist er nicht unbedingt«, meinte sie. »Das ist Ansichtssache. Ich lese Bücher von ihm und von anderen, die denken wie er.«
»Das läßt du besser niemanden wissen«, warnte ich sie. »Wenn Vater und Mutter herausfinden, daß du verbotene Bücher liest, dann schicken sie dich nach Frankreich oder sonstwohin, nur um dich aus dem Weg zu schaffen.«
Sie zuckte die Achseln. »Niemand schenkt mir die geringste Aufmerksamkeit. Dein Ruhm hat mich völlig in den Schatten gestellt. In dieser Familie findet man nur Beachtung, wenn man sich ins Bett des Königs legt. Um in dieser Familie geliebt zu werden, muß man eine Hure sein.«
Ich faltete die Hände über meinem mächtigen Leib und |168| lächelte sie an, von ihrer Boshaftigkeit völlig ungerührt. »Du brauchst nicht so zu sticheln, nur weil meine Sterne mich hierhergeführt haben. Es hat dich niemand gezwungen, dir Henry Percy in den Kopf zu setzen und damit die Ungnade zu riskieren.«
Einen Augenblick verschwand die starre Maske vor ihrem wunderschönen Gesicht, und ich sah die Sehnsucht in ihren Augen. »Hast du etwas von ihm gehört?«
Ich schüttelte den Kopf. »Falls er mir geschrieben hat, haben sie mir den Brief vorenthalten«, sagte ich. »Ich glaube, er kämpft noch immer gegen die Schotten.«
Sie preßte die Lippen zusammen, um ein kleines Stöhnen zu unterdrücken. »O Gott, und wenn er verletzt oder getötet wird?«
Ich spürte, wie mein Kind sich regte, und legte meine warmen Hände auf den losen Brustlatz. »Anne, er darf dir nichts mehr bedeuten.«
Sie schlug die Augen nieder. »Er bedeutet mir auch nichts mehr«, erwiderte sie.
»Er ist jetzt verheiratet«, sagte ich bestimmt. »Du mußt ihn vergessen, wenn du je an den Hof zurückkehren willst.«
Sie deutete auf meinen Bauch. »Das da ist mein Problem«, erklärte sie unverblümt. »In dieser Familie können sie an nichts anderes mehr denken, als daß du den Sohn des Königs unter dem Herzen tragen könntest. Ich habe ein halbes dutzendmal an Vater geschrieben. Er hat mir nur einmal durch seinen Schreiber antworten lassen. Er denkt überhaupt nicht an mich. Ich bin ihm gleichgültig. Alles, was sie bewegt, das bist du mit deinem fetten Bauch.«
»Wir werden es bald wissen«, meinte ich. Ich versuchte meiner Stimme einen heiteren Klang zu geben, aber ich hatte Angst. Wenn es ein Mädchen war, ein kräftiges und wunderschönes Kind, dann sollte Henry eigentlich glücklich sein, daß er der Welt so seine Manneskraft unter Beweis stellen konnte. Doch er war kein gewöhnlicher Mann. Er wollte der Welt beweisen, daß er einen Jungen zeugen konnte.
|169| Es war ein Mädchen. Trotz all der Monate der Hoffnung, der geflüsterten Gebete und der Messen, die in Hever und in der Kirche von Rochford gelesen wurden, war es ein Mädchen.
Aber es war
mein
Mädchen. Sie war ein wunderbares kleines Bündel mit winzigen Händen und mit Augen vom dunklen Blau des mitternächtlichen Himmels über Hever. Sie hatte einen schwarzen Haarflaum, der Henrys rötlichem Gold so unähnlich wie nur möglich war. Aber sie hatte seinen Rosenknospenmund, der zum Küssen lockte.
Ich hielt sie ständig in den Armen. Eine Amme sollte sich um sie kümmern. Doch ich behauptete, meine Brüste schmerzten so sehr, daß ich sie stillen mußte, und behielt sie mit dieser List für mich. Ich verliebte mich über beide Ohren in sie und konnte mir überhaupt nicht vorstellen, daß es noch besser hätte sein können, wenn sie ein Junge gewesen wäre.
Sogar Henry schmolz bei ihrem Anblick dahin, als er mich im schattigen Frieden der Wöchnerinnenstube besuchte. Er nahm sie aus der Wiege auf und bestaunte die winzige Vollkommenheit ihres Gesichts, ihrer Hände, ihrer kleinen Füße unter dem reichbestickten Kleidchen. »Wir nennen sie Elizabeth«, sagte er und wiegte sie sanft.
»Darf ich den Namen auswählen?« fragte ich
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