Die Schwester der Nonne
Hütte?
Ein heftiger Schreck durchzuckte Katharina. Wenn sie von der Dunkelheit im Wald überrascht würde? Wenn sie sich in der unheimlichen Aue verlief? Was hatte Griseldis von Wassergeistern und Wurzelzwergen, von Nebelfeen und dem schwarzen Bruno erzählt? Sie schauderte. Wehe, sie war verloren!
Verzweifelt drehte sie sich im Kreis. Sie glaubte, die Bäume wiederzuerkennen, aber es waren andere, die so aussahen wie die großen Eichen nahe der Hütte. Die Kiepe auf ihrem Rücken stieß an die Baumstämme, Zweige schlugen ihr ins Gesicht, und einmal schrie sie laut auf in der Annahme, jemand hielte sie fest. Es war ein Ast, der sich in der Kiepe verfangen hatte. Verzweifelt streifte sie den Korb ab und warf ihn zu Boden. Ihre Füße patschten durch das Wasser der Pfützen, das der lehmige Aueboden an den regnerischen Tagen nicht mehr aufsaugen konnte. Das glitschige Erdreich klebte an ihren Schuhen und wurde schwer wie Morast.
Das Wasser in den schmalen Flussarmen gurgelte und strudelte, und Katharina wagte keinen Blick hinüber aus Angst, sie könnte einen Wassergeist entdecken. Das Wasser war braun und schlammig und roch nach Erde. Ihr suchender Blick irrte nach oben zum Himmel, als könnte sie dort den richtigen Weg entdecken. Doch das Astgewirr verwirrte sie und ihr schien, als schlösse sich das hölzerne Dickicht immer enger um sie. Die Beklemmung steigerte sich zur Angst, und die Angst steigerte sich zur Panik.
Der Morast wurde dicker. Bis zu den Knien versank sie im weichen Boden, und Wasser gluckste um ihre Beine. Verzweifelt versuchte sie sich aus dieser ekelhaften Umklammerung zu befreien. Längst hatte sie ihre Schuhe verloren, ihr Rock hing schwer von Nässe und Schmutz um ihre Beine. Auf ihrem Gesicht stand kalter Schweiß, und eine Gänsehaut lief ihr den Rücken hinab. Von fern hörte sie eine Glocke. Sie musste von einem Dorf jenseits des Waldes stammen. Viel näher schrie ein Käuzchen und ließ sie zusammenzucken.
Da sah sie ein Licht. Das musste die Hütte sein! Sie atmete auf, gleichzeitig beschleunigte sie ihren Schritt. Sie ging direkt auf das Licht zu. Es konnte nicht mehr weit sein.
Das Licht tanzte vor ihr auf und ab, und plötzlich war es verschwunden.
Irritiert blieb sie stehen. Der Schweiß brannte in ihren Augen und sie zwinkerte. Da! Da war das Licht, nur etwas seitlicher. Wieder lief sie auf das Licht zu. Es schien näher zu kommen, dann entfernte es sich wieder, tanzte auf und ab und verschwand.
Langsam begriff Katharina, dass es kein Licht von der Hütte sein konnte, das sie da sah. Mit vor Kälte und Entsetzen klammen Gliedern blieb sie stehen. Ihr rasselnder Atem klang laut in ihren Ohren. Irrlichter! Sie würden sie ins Moor locken, in die kalte Tiefe.
Wimmernd sank sie auf die Knie und faltete die Hände zum Gebet. In ihrer Todesangst rief sie die heilige Mutter Maria, die reine Jungfrau, um Beistand an.
»Sende mir ein Zeichen. Errette mich aus dem Unglück«, flüsterten ihre bleichen Lippen. Sie sandte ihr Stoßgebet mit Inbrunst gen Himmel. Nebel umfing sie mit weicher Gewalt. Man konnte ihn nicht greifen, und doch war er da. Langsam erhob sie sich und blieb stehen. Dann setzte sie einen Fuß vor den anderen und ging weiter.
Aus dem Unterholz starrten sie zwei Augen wie glühende Kohlen an. Ein Fauchen und Spucken schlug ihr entgegen. Mit einem Aufschrei wich sie zurück, gleichzeitig ergriff sie einen losen Ast und schleuderte ihn dem Ungeheuer entgegen. Sie verlor das Gleichgewicht und stürzte auf den glitschigen Boden. Gleich erwartete sie, dass das Untier sich auf sie stürzen würde, aber nichts geschah. Mühsam rappelte sie sich wieder auf. Da waren Stimmen in der Nacht, wispernd, flüsternd, kichernd. Ihre Zähne schlugen klappernd aufeinander. Eine Wiese tat sich vor ihr auf. Das Gras war nass, der Boden sumpfig. Die harten, scharfen Halme zerschnitten ihre Füße. Sie bemerkte es nicht. Nebelgeister tanzten über die Wiese, teilten sich vor ihr und zerflossen im Nichts, um sich hinter ihrem Rücken wieder zu seltsamen Wesen zu formen. Wie gehetzt lief Katharina vorwärts, schlug mit den Armen um sich, um die Gespenster zu vertreiben.
Da öffnete sich die Wolkendecke, und ein fahler Mond ergoss sein kaltes Licht über die Wiese. Weiter vorn sah sie Wasser glitzern und eine hölzerne Brücke, die sich dunkel über dieses Wasser spannte. Knorrige alte Eichen säumten den schmalen Pfad, der sich zur Brücke wand. Auf dem Pfad stand ein Wesen und blickte
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