Die Schwester der Nonne
kann tanzen und singen und Kastagnetten spielen und den Tamburin. Sie war immer gut zu uns Kindern, hat uns viel gelehrt.«
»Hat sie keine schwarzen Messen gelesen oder neugeborene Kinder geopfert?«
Katharina wurde noch blasser, als sie ohnehin schon war.
»Was erzählst du da für grausige Dinge? Natürlich hat sie das nicht getan.«
»Bist du dir sicher? Der Propst sagte, dass Juden zuweilen so etwas tun. Außerdem sind sie unrein, weil sie Geld verleihen und mit Gold handeln. Sie nehmen Wucherzinsen und sind außerdem Verräter. Erinnere dich, wie Judas unseren Heiland verraten hat. Vielleicht hat sie deinen Vater verraten.«
Katharina, die sich neben ihn auf den Baumstamm gesetzt hatte, sprang empört auf.
»Ich will davon nichts hören. Das ist alles Lüge! Auch der Propst lügt. Philomena hat so etwas nie getan. Sie hat kein Geld verliehen, und das Gold, das sie besitzt, hat ihr Vater geschenkt. Außerdem ging sie auch in die Kirche.«
»Aber nicht zur Beichte.«
»Nein, gebeichtet hat sie nie.«
»Siehst du, sie hatte etwas zu verbergen. Gab es einen Leuchter mit sieben Armen bei euch im Haus?«
»Ja«, gab Katharina zu. »Und an bestimmten Tagen hat sie ihn angezündet.«
»Da hast du es«, platzte Thomas heraus. »Es ist etwas dran. Und nun sind sie beide verschwunden. Vielleicht hat sie der Teufel geholt oder Baphomet.«
»Wer?«
»Baphomet, der falsche Gott der Templer.«
»Ach, du bringst wirklich alles durcheinander. Bei Magister Siebenpfeiffer und Klaus habe ich etwas ganz anderes gelehrt bekommen. Die jüdische Religion ist viel älter als das Christentum, und es gibt nur einen Gott, der ist ebenso für die Juden da. Sie beten eben auf andere Weise zu ihm als die Christen.«
Befremdet rückte Thomas ein Stück von ihr ab.
»Du redest schon wie eine Ketzerin«, murmelte er und bekreuzigte sich.
»Philomena hat nichts Schlechtes getan und mein Vater auch nicht«, bekräftigte Katharina. Aber sie wurde nachdenklich.
Bislang hatte sie sich über Philomena und ihre Art zu leben keine Gedanken gemacht. Sie kannte es nicht anders. Im Gegenteil, vieles hatte Spaß gemacht, wenn sie nur an die lustigen Tänze dachte und die Schleier, mit denen sie sich verhüllten. Dann schlugen sie die kleinen Trommeln und Schellen, und Philomena sang in einer fremden Sprache. Aber das war Spanisch, da war sich Katharina ganz sicher.
Doch wenn sie unschuldig war, wieso waren Philomena und Hieronymus dann verschwunden? Der Gedanke an den dunklen feuchten Keller im Thomaskloster bedrückte sie.
Thomas warf ihr einen schrägen Seitenblick zu. Wie sie so dasaß auf dem Baum, den mageren Rücken gekrümmt und die Hände zwischen ihren Knien gefaltet, überkam ihn heißes Mitleid. Er legte ihr den Mantel über und ließ seinen Arm einen Herzschlag länger um sie gelegt, als unbedingt notwendig war.
Die Luft war still und kalt, und aus dem bleigrauen Himmel fielen sacht kleine Schneeflocken. Sie setzten sich auf den dunklen Wollmantel, auf ihr Haar und sogar auf ihre Nase. Dort schmolzen sie und rollten als kalte Tränen ihre Wange herab.
»Es tut mir weh, wenn du traurig bist«, sagte er leise. »Und es tut mir Leid. Ich mochte deinen Vater gut leiden und Philomena auch.«
»Du tust so, als wären sie schon tot«, begehrte Katharina auf. Dann straffte sie sich. »Ich kann nicht länger untätig herumsitzen. Ich muss etwas unternehmen.«
»Und was, wenn ich fragen darf? Sobald du in der Stadt gesehen wirst, verlangt Eckhardt sein Recht. Dir kann niemand helfen, denn für dieses Brautversprechen gibt es Zeugen.«
»Eckhardt will doch nur meine Mitgift haben«, schnaubte Katharina zornig.
Thomas schenkte ihr einen traurigen Blick.
»Ich glaube, er ist auch einem schönen, jungen Körper nicht abgeneigt. Hast du dir mal vorgestellt, wie es ist, nachts das Bett mit ihm zu teilen?«
Katharina blitzte ihn aus den Augenwinkeln an.
»Was verstehst du denn schon davon?«
Seine Wangen röteten sich, aber in seine Augen trat ein Glanz, den sie schwer deuten konnte.
»Aber Katharina, ich bin kein Kind mehr und du kein kleines Mädchen.«
Da hatte er wohl Recht. Nein, sie dachte nicht daran, mit Eckhardt das Bett zu teilen, seinen alten, faltigen Körper zu liebkosen und von seinem zahnlosen Mund geküsst zu werden. Sie dachte an Klaus und ihre Liebesfreuden auf dem Speicher des Hauses oder im frischen Gras der Auewiesen, als die Sonnenstrahlen ihren nackten Körper liebkosten und Klaus’ Blicke ihn
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