Die Schwester der Nonne
einem Gegenzauber zu bannen. Das überließ er aber lieber den Hexenjägern und Teufelsaustreibern.
Manchmal holten die Leute sich bei Griseldis Rat, wenn jemand schwer erkrankt war; sie hatte viele Kräuter und Wurzeln gegen so manches Leiden. Es gab einige, die ihren Hexenkünsten mehr als der Macht der Gebete glaubten.
Wahrscheinlich war Thomas auch so ein heidnischer Mitbürger, der sich lieber bei diesem unwirtlichen Wetter in den Auesümpfen bei der Hexe herumtrieb, anstatt in eine der Klosterkirchen zu gehen und um Heilung zu beten. Wer war überhaupt krank? In der Stadt hatte er nichts davon gehört, dass der Kuhtürmer oder eines seiner Familienmitglieder erkrankt sei.
Die Furcht vor dem bösen Zauber überwog, und so wagte es Tobias nicht, sich der Hütte zu nähern. Im Schutze des Waldsaumes wartete er, bis Thomas wieder erschien. Es war nicht zu erkennen, ob er irgendwelche Kräuter oder Arzneien bei sich trug. Genauso zielstrebig und zügig wie er gekommen war, lief Thomas den langen Weg zur Stadt zurück. Der Regen hatte sich verstärkt, und der Auwald versank in der Trostlosigkeit.
Tobias gab nicht auf. So oft es möglich war, strich er in der Stadt umher und lauschte, was sich die Leute so erzählten. Die Kapuze seiner Kutte tief ins Gesicht gezogen, wirkte er häufig wie ins Gebet versunken. Aber seine Sinne waren wach und geschärft.
Er trieb sich häufig in der Nähe des Hauses herum, in dem der Kuhtürmer wohnte. Zu Allerheiligen waren die Rindviecher in die Stadt gebracht worden und Johannes mit Thomas wieder zur Familie ins Stadthaus gezogen.
Der November war kalt und trist, und es regnete häufig. Tobias wurde von einem quälenden Husten heimgesucht. Es wäre besser gewesen, sich auf der Krankenstation des Klosters zu melden und ein Bett und eine Fleischmahlzeit zu beanspruchen, wie es ihm zustand.
In der Nacht hatte es Frost gegeben, und am Morgen lag dicker Raureif auf den Dächern. Ein Marktweib glitt auf dem glatten Pflaster aus und stürzte samt ihrer Kiepe voller Kohlköpfe. Alle Passanten lachten, nur Tobias nicht. Griesgrämig blickte er an dem zweistöckigen Haus empor, in dem der Kuhhirte wohnte und beschloss, ins Kloster zurückzukehren.
In diesem Moment öffnete sich die Haustür, und Thomas trat mit einem Bündel unterm Arm heraus. Schnell drückte sich Tobias wieder in die Mauernische. Er hielt sogar den Atem an, damit die weißen Dampfwolken aus seinem Mund ihn nicht verrieten. Doch Thomas blickte sich gar nicht um, sondern schritt forsch durch die Gassen dem Rannstädter Tor zu. Tobias folgte dichtauf. Thomas passierte das Tor und begab sich auf der Via Regia Richtung Kuhturm.
Einen Augenblick überlegte Tobias, ob es sinnvoll sei, ihm zu folgen. Sicher ging Thomas nur bis zum Turm, weil er beim Auszug etwas vergessen hatte. Außerdem war die Straße um diese Jahreszeit deutlich leerer. Einige Ochsenkarren mit Holz kamen ihm aus dem Wald entgegen, und es waren nur wenige Bauern unterwegs, denn sie hatten kaum etwas zu verkaufen.
Die Deckung der großen Holzkarren nutzend, folgte Tobias ihm, so gut es ging. Seine Stimmung hob sich merklich, als Thomas den Kuhturm links liegen ließ und weiter der Straße in die Aue hinein folgte.
Tobias war sofort klar, dass Thomas wieder den Weg zur Hütte von Griseldis einschlug. Nun spürte er die Kälte nicht mehr, die durch seine Kutte drang und seine Füße blau fror. Sein Jagdinstinkt war erwacht. Seine brennenden Augen hefteten sich auf Thomas’ Rücken. Zwischen den grauen Stämmen der Bäume sah er ihn mit schwankenden Schritten auf dem unsicheren Untergrund. Wie ein Wolf auf der Fährte eines waidwunden Tieres folgte der Mönch dem Kuhburschen. Er wurde nicht enttäuscht.
Gegen den rauen Stamm einer Eiche gedrückt, beobachtete er, wie Thomas mitten auf der Wiese stehen blieb. Ein Mädchen kam aus der Hütte gelaufen und schwebte in seine Arme. Auch wenn sie jetzt völlig anders gekleidet war, erkannte Tobias Katharina sofort. Ein zufriedenes Grinsen flog über sein Gesicht. Er hatte sich nicht getäuscht und gefunden, was er vermutete.
Schnell drehte er sich um, drückte den Rücken gegen den Baum und schloss die Augen. Er wollte gar nicht sehen, wie die beiden Zärtlichkeiten austauschten. Oh ja, Katharina war eine Hure, erst der Student und dann der Kuhbursche. Reglos blieb Tobias hinter dem mächtigen Baum verborgen, während Thomas und Katharina auf einem morschen Stamm Platz nahmen. Fast unmerklich begann es zu
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