Die Schwester der Nonne
schneien.
Bruder Tobias hob seinen Kopf dem Himmel entgegen. Er dankte Gott für die Gnade und schwor, diese Hexe ihrem gerechten Ende zuzuführen. Er wartete nicht ab, bis die beiden sich wieder trennten, sondern eilte im Schutz des Waldes zurück zum Thomaskloster, um seinem Propst Bericht zu erstatten.
Thomas kehrte zur Stadt zurück, ohne etwas von der Anwesenheit des Mönches bemerkt zu haben. Er schaute weder rechts noch links, sondern wälzte schwere Gedanken in seinem Kopf. Es war etwas Unmögliches, was Katharina da von ihm verlangte. Dieser Klaus, ob der Katharina überhaupt so liebte wie Thomas? Nein, er konnte es nicht glauben. So viele Jahre hatte er gehofft, dass er einmal das Herz der hübschen Kaufmannstochter erobern konnte, so viele Jahre waren sie sich nah. Sie hatte sogar die kleine geschnitzte Kuh auf ihre Flucht mitgenommen. Unversehens liefen Tränen über seine Wangen, die er ärgerlich mit dem Ärmel wegwischte.
Sie liebte einen anderen!
Das durfte nicht sein. Was konnte er tun, damit Katharina diesen Klaus vergaß und dafür ihm ihr Herz schenkte? Er musste sie retten. Katharina würde den Winter im Wald nicht überleben. Wie sollte er das anstellen? Für Katharina kam nur eines in Frage, sie musste ihn heiraten. Aber er konnte ihr nicht einmal ein Dach über dem Kopf bieten. Sie müssten in einer kleinen Kammer im Hause seiner Eltern hausen.
Und wovon sollten sie leben? Von ihrer Mitgift? Es war allerdings zweifelhaft, ob sie die überhaupt bekam, wo ihr Vater doch verschwunden war. Und Eckhardt, würde der nicht auf seinem Recht bestehen?
Es war alles schrecklich kompliziert, und je mehr Thomas darüber nachdachte, umso verworrener wurde die ganze Geschichte. Egal, wie er es wendete, es gab keine Lösung, die Katharina geholfen hätte. Nur eine Möglichkeit blieb übrig: Er musste nach dem Studenten suchen. Dazu rang er sich durch, als er das Stadttor durchschritt.
Die Via Regia führte direkt in die Stadt hinein. Wo sie sich mit der Via Imperii kreuzte, befand sich der alte Markt, der schon seit langem nicht mehr benutzt wurde. Die drei Messen im Jahr und die normalen Markttage fanden auf dem neuen Markt im Zentrum der Stadt statt, wo sich auch das Rathaus und das Handelshaus Preller befanden.
Hier unten, nahe den Pleißesümpfen, gab es noch die engen Gassen mit den windschiefen Häusern, wo kleine Handwerker ihre Werkstätten betrieben und wo man billige Zimmer nahe des Halleschen Tores mieten konnte. Hier irgendwo musste auch der Studiosus wohnen. Besser noch, er fragte nach Magister Siebenpfeiffer, den kannte wohl jeder.
Thomas brauchte nicht lange zu suchen. Jeder Bewohner der Gasse kannte den Magister und seine Studenten. Und dann stand Thomas dem Mann gegenüber, den Katharina liebte. Thomas hatte etwas anderes erwartet, einen reichen, prächtig gekleideten und anmaßenden Burschen, der es sich leisten konnte zu studieren, statt einem Tagwerk nachzugehen.
Stattdessen sah er sich mit einem jungen Mann konfrontiert, der ein blasses, schmales Gesicht besaß und schöne, ausdrucksvolle Augen. Er war schlicht gekleidet und wirkte bescheiden. Sein Blick war traurig und ernst, und Thomas schien, dass diese Augen etwas zu viel Leid gesehen hatten. Verwundert schaute er Thomas an.
»Was gibt es?«
Thomas, der noch immer mit einem unterschwelligen Groll kämpfte, wurde unsicher. Er hatte sich vorgenommen, dem Herrn Studenten klar zu machen, dass auch er ein Recht auf Katharina hätte. Nun aber empfand er plötzlich so etwas wie Mitleid mit Klaus. Thomas war wütend auf sich selbst, aber er konnte es nicht ändern. »Ich bringe Nachricht von Katharina.«
Klaus zuckte zusammen, dann blickte er sich hastig um und zog Thomas in den Hausflur hinein. Es stank widerlich und im Hintergrund huschte ein hutzeliges Männlein hin und her. Thomas schaute misstrauisch zu ihm hin, doch Klaus winkte ab.
»Der ist harmlos. Was ist mit Katharina? Wo ist sie? Mein Gott, ich bin halb wahnsinnig vor Angst.«
Thomas senkte den Kopf. Innerlich war er immer noch nicht bereit, jemandem das Geheimnis zu verraten. Er fürchtete, dass dann Katharina in noch größere Gefahr geriet.
»Katharinas Vater hat ihr den Umgang mit Euch untersagt, Herr Studiosus. Ihr wisst auch, warum. Er hat einen anderen Mann für sie vorgesehen.«
Klaus packte Thomas an den Schultern.
»Die ganze Stadt spricht davon, dass sie vor diesem Mann geflüchtet ist. Aber nun ist der alte Preller verschwunden, und Katharina ist ohne
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