Die Schwester der Nonne
Katharina ungestört ihrem Liebesgenuss, ohne dass der Himmel herabstürzte, während es Bruder Tobias immer schlechter ging. Bunte Kringel tanzten vor seinen Augen und für einen winzigen Augenblick vermeinte er, dass sich Katharinas weiße Schenkel um seinen Körper schlangen. Am Ende konnte er nicht mehr anders und gab seiner Lust nach.
Keuchend blieb Bruder Tobias auf dem Bauch liegen, das Gesicht in die harte Strohpuppe vergraben. Er fühlte sich unsagbar elend, schuldig, schmutzig und von Gott ungeliebt. Er hatte gesündigt, er hatte nicht die Kraft gehabt, gegen das Böse anzukämpfen. Er hatte dem Drang nachgegeben und sich fleischlicher Lust hingegeben. Gott würde ihn verstoßen, ihm keinen Platz im Paradies zugestehen, ihn im Fegefeuer braten lassen. Aber er bereute, er wollte büßen, er wollte es wieder gutmachen. Diese Hexe sollte ihn nicht wieder verführen, ihm keinen Schaden mehr zufügen, ihm nicht und auch keinem anderen.
Tobias blieb einfach auf der Kornpuppe liegen, auch als Klaus sich längst von Katharina verabschiedet hatte. Nun hatte es der Mönch nicht mehr eilig. Er war müde, entspannt und zufrieden. Er hatte Katharina gefunden.
Erst am nächsten Morgen machte sich Tobias auf den Rückweg zur Stadt. Er kam zur rechten Zeit, als sich die Mönche im Kapitelsaal versammelten. Alle wandten sich zur Tür, als Bruder Tobias hereinkam, die Kutte voller Staub und Stroh. Mit gemessenen Schritten trat er vor den Propst, aber seine Hände zitterten vor Ungeduld. Der Propst blickte streng auf ihn herab. Es war nicht verborgen geblieben, dass sich Bruder Tobias während der Nacht nicht im Kloster aufgehalten hatte.
»Was hast du uns zu sagen, Bruder Tobias?«
Tobias beugte sich vor dem Propst, aber es sah aus, als krümme er sich vor Leibschmerz. Benedictus kannte diese Haltung und wusste, dass er etwas Interessantes zu erwarten hatte. So abartig Tobias in manchem veranlagt war, in gewissen Dingen konnte sich Benedictus auf ihn verlassen. Gespannt reckte der Propst den Kopf vor.
Tobias buckelte noch tiefer, und Benedictus war geneigt, mit dem Fuß nach ihm zu treten. Es bereitete ihm Genugtuung, wenn sich Tobias vor ihm auf der Erde wand. Mit Widerwillen bemerkte der Propst den Schmutz an Tobias. Außerdem stank er seltsam seifig.
»Gelobt sei Jesus Christus, Ehrwürden«, krächzte Tobias und küsste den Saum von Benedictus’ Ornat. Der Propst verdrehte genervt die Augen. Musste sich der Kerl so anbiedern? Er sollte sagen, was er zu sagen hatte.
Auch ohne einen Tritt von Benedictus warf sich Tobias auf die kalten Steinfliesen und kroch näher. Dann hob er den Kopf und blickte den Propst aus fanatisch glühenden Augen an. Jede Faser seines Körpers erwartete Lob und Anerkennung.
»Ehrwürdiger Vater, ich habe die entflohene Nonne Maria gefunden.«
Die Hexenprobe
»Unser geliebter Herzog Albrecht ist tot.« Die Herolde verlasen die traurige Nachricht unter dem Trommelwirbel der Rathauswache. Betroffen standen die Menschen auf dem Leipziger Marktplatz. Für einen Augenblick schien das Leben innezuhalten. Nun hatte Gott auch den zweiten der Brüder, die lange Jahre die Geschicke des Landes bestimmten, zu sich gerufen.
Viele ältere Bewohner der Stadt erinnerten sich noch an die glanzvolle Hochzeit, die der ältere der beiden Wettiner Brüder, Kurfürst Ernst, mit der bayrischen Prinzessin Elisabeth in Leipzig vollzog. Welch ein Glanz fiel damals auf die Stadt! Wie stand sie da im Mittelpunkt des Geschehens! Die Welt war in Ordnung, Sachsen noch nicht geteilt.
Mit Wehmut gedachten viele Leipziger der Teilung des Landes vor fünfzehn Jahren, die auf Bestreben eben jenes Kurfürsten Ernst zustande kam. Danach war das Land nicht mehr dasselbe. Grenzhäuschen und Zollschranken standen dort, wo sich einstmals das Herz eines einigen, starken Landes befand.
Kurfürst Ernst überlebte die Teilung nur ein Jahr. Die Kurwürde ging auf seine Söhne über, aber die besaßen schon längst nicht mehr die herausragende Bedeutung wie der Stammvater der ernestinischen Wettiner.
Nun also war auch Herzog Albrecht tot. Irgendwo in der Fremde war er gestorben. Ein dunkler Schatten legte sich über das Land.
Aber das Leben der einfachen Leute musste weitergehen. Der Ablauf der Jahreszeiten diktierte ihnen ihre Arbeit. Zudem mussten die Häusler in den Dörfern um die Rittergüter Frondienste verrichten. Die Männer arbeiteten für einen Tagelohn bei der Ernte auf den herrschaftlichen Feldern, in den Gärten,
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