Die Schwester der Nonne
Sackes über die Schulter.
»Wie soll ich sie bestrafen? Erst muss sie gestehen.«
Er wandte sich an Katharina.
»Nun, Maria, was hast du mir zu sagen? Wie bist du aus dem Kloster entkommen? Wer hat dir dabei geholfen?«
Katharina starrte Benedictus an. Er war aus dem Schlaf geholt worden und hatte sich nur einen einfachen Umhang umgelegt, der seinen tonnenförmigen Körper kaum verbarg.
Maria? Wieso Maria?
»Ich bin Katharina, aber das weiß Bruder Tobias doch! Wieso nennt Ihr mich Maria?«
»So? Du bist nicht Maria? Du kannst viel behaupten, natürlich willst du dich schützen. Nein, diese Maskerade passt nicht zu dir, Maria. Du hast etwas gelobt. Du bist Gott versprochen. Du hast Gott bestohlen.«
»Aber was redet Ihr da? Schaut genau her, ich bin Katharina Preller.«
»Du musst schon einen Zeugen bringen, der sagt, dass du wirklich Katharina Preller bist. Ich sehe dein Gesicht und weiß, du bist Maria, die entflohene Nonne aus dem Georgenkloster. Du willst dich deiner gerechten Strafe entziehen, indem du lügst. Es gibt genügend Mittel, die Wahrheit herauszufinden.«
»Ich habe Zeugen, Ehrwürdiger Vater. Es gibt Zeugen, die beschwören können, dass ich Katharina Preller bin. Der Studiosus Claudius kann es Euch sagen.«
»Der Studiosus? Dieser studentische Hurenbock? Seine Aussage ist so viel Wert wie das Quaken eines Frosches. Der treibt es mit allen Weiberröcken und würde tausend Meineide schwören, um ein Weib vor der gerechten Bestrafung zu retten. Nein, nein, da musst du dir schon etwas anderes einfallen lassen.«
»Dann, dann mein Bräutigam, der Kaufmann Eckhardt. Er will mich heiraten. Er wird mich erkennen und bezeugen, dass ich Katharina bin.«
»Der Kaufmann Eckhardt? Der seine entlaufene Braut sucht? Er hat eine Kopfprämie auf sie ausgesetzt.«
»Die könnt Ihr Euch verdienen, ehrwürdiger Vater«, rief Katharina verzweifelt. »Liefert mich doch an ihn aus, er wird es Euch danken.«
»Tatsächlich?« Benedictus rieb sich nachdenklich das Kinn. »Gut, wir werden ihn morgen als Zeugen vorladen. Und jetzt will ich schlafen.«
Er gähnte und riss dabei den Mund auf wie ein Fisch auf dem Trockenen. Schwerfällig wandte er sich der Treppe zu.
»Ehrwürdiger Vater!« Tobias kreischte auf und krallte sich im Saum des Hemdes fest, das Benedictus unter dem Umhang trug. »Ihr wollt doch diesem verstockten Weib nicht etwa Glauben schenken?«
Benedictus stockte in seinem Schritt und schaute auf Tobias herab wie auf einen Wurm.
»Was soll das, Bruder Tobias? Ich werde morgen die Wahrheit herausfinden. Aber es muss alles seine Ordnung haben. Wenn es Zeugen gibt, sollen auch Zeugen sprechen. Und du, lieber Bruder, solltest zur Andacht gehen. Mich deucht, es ist allerhöchste Zeit. Lass dieses Weib da hängen. Sie soll inzwischen darüber nachdenken, wer sie ist.«
Unentschlossen blickte Tobias zwischen dem sich entfernenden Propst und Katharina hin und her. Dann rappelte er sich auf und stolperte hinter Benedictus her.
Hilflos hing Katharina in den Ketten. Als sie allein war, verließ sie der Mut. Sie wimmerte leise vor sich hin. Der Schmerz war schlimm, die Verzweiflung schlimmer. Aber etwas anderes wühlte sie noch mehr auf. Maria war aus dem Kloster geflüchtet! Die stille, duldsame Maria! Was war geschehen? Sie war Gott versprochen – sie hatte Gott bestohlen?
Maria war ein sehr aufrichtiger Mensch, der Lügen hasste. Und doch hatte Maria gelogen, um Katharina zu helfen, damals, als Klaus gefangen gehalten wurde, als ihr Verhältnis ans Licht kam. Maria hatte sich für Katharina geopfert.
Welche Gewissensbisse musste sie verspürt haben. Aber sie hatte zu ihrer Schwester gehalten.
Was war geschehen, dass sie aus dem Kloster flüchtete? So etwas würde Maria nur tun … ja … nur aus Liebe. Es musste jemanden geben, jemanden außerhalb des Klosters, den sie so sehr liebte, dass sie sich in eine derartige Gefahr begab.
Sie hatte Maria unterschätzt, sie hatte ihr Unrecht getan. Maria war ganz anders, viel weitherziger, viel edler als sie selbst. Katharina verspürte tiefe Reue. Dieser dumme Streit damals war so unnütz, war so hässlich, und sie konnte ihn nicht ungeschehen machen. Wenn sie doch Maria helfen könnte!
In der Tiefe des Kellers unter dem Thomaskloster gab es keinen Unterschied zwischen Tag und Nacht. Kein Sonnenstrahl drang jemals hinunter, und kein Laut drang aus den Mauern heraus. Wer weiß, wie viele Unglückliche dort schon gequält worden waren, nur weil sie
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