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Die Schwester

Die Schwester

Titel: Die Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandor Marai
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sahen wir einander an. Er zuckte mit den Schultern, als
wollte er sagen: »Du weißt genau, woran ich denke, warum wollen wir uns hier
gegenseitig etwas vorspielen?«
    Ich verstand, dass er an E. dachte, an das Verhältnis, das mich, wie
er und viele andere glaubten, mit der Frau verband, an das jämmerliche Dreieck,
das aufzulösen die Zeit gekommen war. All das sagte er taktvoll, ohne Worte,
aber unmissverständlich – und ich begriff, dass es wirklich nicht schaden
würde, wenn ich für einige Zeit verreiste. Denn es ist eine Eigenschaft von
übler Nachrede, dass sie sich von selbst in Wirklichkeit verwandeln kann, auch
dann, wenn sie gar keine wirkliche Grundlage hat. Ich begriff, was ich schon
seit Langem wusste, ein Wissen, dem ich nicht gern ins Gesicht sah. Ich
schuldete E. und ihrem Mann diese Reise und war ihnen gegenüber verpflichtet,
den Kreis zu durchbrechen, der uns drei mit dem Zauber einer
unwahrscheinlichen, für Fremde unverständlichen Freundschaft umgab. Wer würde
das schon verstehen können? Von wem konnte ich verlangen, mir zu glauben, dass
diese Freundschaft unbedingt und ohne Hintergedanken rein war? Konnte ich
verlangen, dass die Zuneigung, die diese außergewöhnliche, schöne und junge
Frau mir seit Jahren mit der überheblichen Ehrlichkeit souveräner Menschen
öffentlich schenkte, anders gesehen und erklärt wurde, als es die Menschen im
Allgemeinen zu tun pflegen? Der berühmte Künstler, die gebildete, schöne Frau
der Gesellschaft, der alternde Diplomat als Ehemann – was für ein ideales
Dreieck war das! Wer konnte an etwas anderes denken als an ein Verhältnis im
alltäglichen, gewöhnlichen Sinn des Wortes, an eines der Gesellschaftsspiele
der Liebe, wie sie das Leben unzählige Male mit Gleichgültigkeit arrangiert und
gestaltet? Wenn ich die Freundschaft von uns dreien von außen betrachtete,
musste ich die Menschen verstehen. Fragen, die ich in der letzten Zeit auch mir
selbst gestellt hatte, spiegelten sich mit hämischer und böswilliger
Ehrlichkeit in den Blicken Fremder. Oft geschieht es, dass eine Beziehung, die
von der Liebe geschmiedet wurde, sich in Freundschaft wandelt; seltener, dass
in einer langen Freundschaft der Funke der Liebe aufglüht. Aber konnte ich von
den Menschen Verständnis für das verlangen, was uns drei in so tiefen und
unzerreißbaren Banden hielt? Es ist unmöglich, dass nicht Eros am Grunde einer
Beziehung steht, die aus den Erinnerungen der langjährigen Freundschaft einer
schönen jungen Frau und eines Mannes gewebt wird. Ich erinnere mich an Träume,
in denen mir E.s Körper aus dem Nebel des Traumes mit lieblich-fleischlichen
Zügen entgegenschimmerte, und ich erinnere mich an unsere erste Begegnung, als
dieses Phänomen, E.s Körper und ihre Art, sich mit unmissverständlich
sinnlicher Botschaft an mich gewandt hatte. Und zu allem Überfluss war diese
Frau in ihrer körperlichen Erscheinung herausfordernd, rhetorisch und
anziehend. Ihre Blondheit, an deren ernst-feierlichen Schattierungen keine
Friseurwerkstatt etwas mildern konnte, diese wilde, reiche und sanfte
Blondheit, mit der die Natur nur die Mädchen der nordischen Rassen beschenkt,
das dunkle Feuer ihrer Augen, die tiefweiße Grundfarbe ihres Fleisches, all das
war eine Kampfansage an die Welt: Hier bin ich, schlagt euch um mich. Und wie
viele zogen in den hoffnungslosen Kampf! Seit acht Jahren lebte diese Freundschaft
zwischen uns, acht Jahre lang hatte ich beobachtet – beinahe hätte ich gesagt:
hatten wir beobachtet, denn E.s Mann und ich waren schon längst heimliche
Verbündete in diesem Dienst –, wie sich ihr selbstsichere, sich in der
Meisterschaft der Verführung überlegen glaubende oder vom Zauber der Schönheit
erschütterte, desorientierte Männer einmal mit anmaßendem Drängen, ein andermal
mit tragischem Pathos näherten und dann auch sofort wieder aus den gefährlichen
Strudeln dieser Erscheinung flohen. Denn um E. war für gewisse Menschen
tatsächlich ein Strudel – aber wenige erkannten diese Gefahr rechtzeitig. Wer
wusste von alledem? Ich gewiss – und dieses Geheimnis war damals schon der
traurige, peinliche Sinn meines Lebens. Und E.s Mann wusste darum, der sein
Schicksal mit der großzügigen Geduld der Menschen aus einer alten, anderen
Welt, vielleicht aus der Gotik, ertrug. Und dieser Mann hier,

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