Die Schwester
stellen.«
»Sind Sie Italiener?«, fragte ich.
»Nein«, erwiderte er ruhig. »Ich komme aus Prag.«
»Ach, aus Prag«, sagte ich höflich. »Deutscher? Oder Tscheche?«
»Ich bin Ãsterreicher«, sagte er ruhig.
»Ja«, sagte ich. Wir verstummten. Der Unterarzt stand lässig da und
sah mich blinzelnd an, geduldig, als wäre er an diese Fragen schon gewöhnt und
hielte es für seine ärztliche Pflicht, auch auf das ungeduldige,
unverständliche Drängen der Patienten zu antworten.
»Sind Sie schon lange aus Prag fort?«, fragte ich verlegen, weil ich
jetzt etwas sagen musste.
»Noch nicht sehr lange«, antwortete er. »Erst als ich musste. Früher
hatte ich ein Sanatorium bei Prag.«
In seiner Stimme lag keine Anklage, keine Beschwerde, auch kein
Verrat. Nicht einmal den Anschein eines Bebens von Voreingenommenheit spürte
ich in diesem Tonfall. Er sprach sachlich wie jemand, der über eine
Schicksalswende berichtet. Dann lächelte er wohlwollend und fragte, als wüsste
er, was jetzt kommen würde: »Wünschen Sie noch etwas, Maestro?« Er machte sich
bereit zu gehen.
»Danke«, sagte ich. »Wenn Sie zu tun haben â¦Â«
»Ich habe immer zu tun«, sagte er, zog einen Stuhl neben mein Bett
und setzte sich. »Zum Beispiel habe ich damit zu tun, Sie zu beruhigen. Das ist
mindestens so wichtig wie die Spritzen und das Röntgen. Ich sehe, Sie sind
unruhig.« Mit aufmerksam funkelnden Augen sah er mich an.
Ich zuckte mit den Schultern.
»Der Professor hat etwas gesagt«, antwortete ich. »Aber er hat auch
etwas verschwiegen.«
»Weil er Arzt ist«, sagte er streng. »Was kann er denn tun? Er ist
ein groÃartiger Mann. Aber er ist auch nur ein Arzt.«
»Und ist das nicht genug?«, fragte ich und lächelte nun auch.
Er schüttelte den Kopf, als diskutierte er mit einer unsichtbaren
Person, und drehte sich eine Zigarette. Seine Finger lebten unabhängig,
wunderbar selbstbewusst und geschickt. Jede seiner Bewegungen war
diszipliniert, wie die Fingerbewegungen eines Musikers.
»Nein«, sagte er ernst. »Er kann nur behandeln. Heilen kann nur
Gott.«
Jetzt wurde ich wirklich unruhig. Er kann groÃartig spritzen, aber
er ist verrückt, dachte ich. Ich bin in der Hand eines Verrückten. Ich bemühte
mich, höflich zu antworten:
»Sie meinen, die Natur heilt.«
»Nein«, sagte er lebhaft. »Ich meine, was ich sage. Gott heilt,
persönlich. Die Natur ist nur Material und Mittel in Gottes Hand. Wer keinen
Weg zu Gott hat, kann nicht heilen. Er kann nur perfekt behandeln. Auch Sie
werden behandelt werden, fürchten Sie sich nicht. Aber ich möchte, dass Sie
gesund werden, Maestro. Sie können den Menschen noch etwas geben, und das ist
keine Kleinigkeit, heute, da die Menschen alles tun, um zu vernichten, was im
Leben wertvoll ist. Fürchten Sie sich nicht.« Er wiederholte die Worte des
Professors und sah mich freundlich an, während er mit seiner Zigarette spielte.
»Das sagte der Professor auch«, erwiderte ich. »Was ist es, vor dem
ich mich nicht fürchten darf?«
»Der Arzt, der auch heilen kann«, sagte er leise, etwas vorgebeugt,
mitteilsam, wie ein Erwachsener mit einem Halbwüchsigen spricht oder ein
Fachmann, der sein Wissen nicht zur Schau stellen will, mit einem
Uneingeweihten. »Echte Ãrzte sind sehr selten. Das waren sie zu jeder Zeit.
Hippokrates war Arzt, Paracelsus auch. Ich habe in Prag einen gekannt. Er war
nicht berühmt, ein einfacher praktischer Arzt. Aber er konnte etwas, was
manchmal die Berühmtesten nicht können. Ein guter Arzt ist nämlich ein
Schamane.« Er sprach ohne Nachdruck und lächelte freundlich, als wollte er mir
dieses verblüffende Geheimnis, dessen Tragweite ich gar nicht verstehen konnte,
in den einfachsten Worten mitteilen, mir, dem Anfänger in diesem Fach.
Ich bemühte mich, unbeteiligt zu antworten, als wäre ich derselben
Ansicht, und er hätte nur gesagt, was ich über das Heilen glaubte und dachte.
»Ja«, sagte ich. »Sind Sie auch ein Schamane?«
Er neigte den Kopf und sah mich nachdenklich an.
»Das ist es ja gerade«, antwortete er lebhaft, neugierig und arglos
wie ein Kind. »Ich kann nicht wissen, ob ich ein Schamane bin. Ich meine, der
Schamane ist ein Himmelsreisender. Er vermittelt zwischen Gott und den
Menschen. Denn die
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