Die Schwester
sind vielleicht
nicht dazu veranlagt, aber das kann ich nicht wissen. Wir kennen Patienten, die
nach einer einzigen Spritze rettungslos morphin- oder dolantinabhängig sind.
Und andere, die diese Mittel nicht vertragen. Und wieder andere, die das
Morphin am Ende der Krankheit mit einer Handbewegung wegwerfen. Ich hoffe,
Maestro, Sie gehören zu diesen Letzteren. Auf alle Fälle geben wir acht. Und
natürlich lasse ich nicht zu, dass Sie leiden. Sie werden Pantopon bekommen,
das vertragen Sie vielleicht besser. Oder Steralgin«, sagte er ernst, als
spräche er mit einem Fachmann. »Vertrauen Sie mir.«
»Ich vertraue Ihnen«, sagte ich.
Er stand auf und verneigte sich. Wir wussten beide, dass er mich
jetzt nur noch nach seinem besten Wissen behandeln würde, aber dass er in
Wirklichkeit nichts für mich tun konnte. Jetzt war die Reihe an mir, gesund zu
werden oder unterzugehen, wie es mein Schicksal wollte.
Wie wenn auf der Bühne in einer dramatischen Szene einer der
Helden die Szene verlässt und nur die zweitrangigen Darsteller bleiben, die
Zeit des Zwischenakts mit ärmlichen Zwischenspielen füllend, so atmeten der
Unterarzt und die Schwester erleichtert auf, als sich der Professor entfernt
hatte. Als hätten sie sich aus der Habtachtstellung in ein Rührt-Euch begeben.
Die Schwester trug ein Tablett in den waagrecht ausgestreckten Händen, reglos,
mit einer Haltung wie die untergeordneten Priesterinnen auf griechischen
Reliefs, auf dem Weg zum Opferaltar, wenn sie die mit dem notwendigen Zubehör
bepackten Tabletts tragen; Ãther, Alkohol und die fürs Spritzen erforderlichen
Arzneien und Geräte standen in ihrem glänzenden, kalten Prunk aus Nickel und
Glas auf dem Emailtablett in Reih und Glied. Der Unterarzt lieà sich vor meinem
Bett wortlos auf die Knie nieder und suchte eine bequeme Stellung. Dann nahm er
meinen rechten Arm wie einen Gegenstand in die Hand und tastete nach der
Schlagader.
»Schlechte Venen«, sagte er in abfälligem Ton, wie ein Händler, der
einen Mangel an den Waren feststellt.
Mit einer Kopfbewegung winkte er der Schwester, dass sie ihm die
Spritze geben könne. Ich kannte bereits jede Bewegung dieses stummen Rituals
sehr gut. Mit zwei Fingern rieb er die Adern in der Ellenbeuge, band etwas
weiter oben die Muskulatur des Oberarms mit einem roten Gummiband ab,
sorgenvoll, die Augenbrauen zusammengezogen, wartete er einen Augenblick, und
als das blasse, bläuliche Gefäà dann anschwoll, riss er das Gummiband ab und
stieà mir mit der Geschicklichkeit eines Zauberkünstlers die Nadel in die Ader.
Der bitter-herbe Geruch von Vitamin B verbreitete sich im Zimmer.
Ich sah ihm mit dem Interesse eines geduldigen Anfängers bei der
Arbeit zu. Die Sekunden vergingen langsam, das rasche Strömen der Ader saugte
das Medikament auf, währenddessen unterhielten wir uns.
»Wie viel bekomme ich?«, fragte ich.
»Zehn Kubikzentimeter«, sagte er.
»Ist das viel?«
»Ziemlich viel.« Er nickte.
»Lohnt es sich?«, fragte ich argwöhnisch.
Aufmerksam beobachtete er durch die dicke Brille den Weg des in die
Ader gespritzten Mittels, bereit, der Ader mit derselben Nadel »Eigenblut« zu
entnehmen, das er mir dann sofort wieder einspritzte. Er sah einen Augenblick
auf und zuckte mit den Schultern.
»Warum fragen Sie so etwas?«, sagte er ernst und vorwurfsvoll. »Ich
bin nur Arzt. Die Erfahrung und das Gesetz der groÃen Zahlen lehren mich, dass
Vitamine in so groÃen Dosen heilen. Aber um das sicher wissen zu können,
müssten Sie in zwei Exemplaren existieren: Das eine Exemplar bekäme das
Vitamin, das andere nicht. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass auch das
gesund würde, das keinerlei Medikament bekommen hätte. Watte«, sagte er über
die Schulter zur Schwester.
Er wischte den Blutstropfen weg, der an der Einstichstelle
hervorquoll, und hob meinen Arm hoch.
»Sie glauben nicht übermäÃig an Medikamente«, sagte ich im
Plauderton.
»Sie möchten wissen, ob Sie gesund werden«, erwiderte er, stand auf
und wischte sich mit der Hand den Staub vom Knie. »Dazu haben Sie zweifellos
ein Recht. Am liebsten würden Sie mich, den Arzt, einem Kreuzverhör unterziehen
wie einen Komplizen, der an einer Straftat mitbeteiligt ist. Ich weià das und
verteidige mich, wo ich kann. Beispielsweise antworte ich nicht, wenn die
Patienten mir solche Fragen
Weitere Kostenlose Bücher