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Die Schwester

Die Schwester

Titel: Die Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandor Marai
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»Pardon«, als
verstünde er in diesem Augenblick alles, und schloss taktvoll, lautlos die Tür
wieder hinter sich zu. Ich schaltete die Lampe aus und lag im Dunkel. Klang und
Worte des sonderbaren Liebesbriefs tönten mir in den Ohren wie eine melodielose
Musik. Und als verstünde ich plötzlich den geheimen Inhalt der vergangenen
Wochen, schrie ich im Dunkel beinahe auf. Ja, sie stand hinter allem; hinter
der Krankheit und hinter der Heilung; jetzt verstand ich oder glaubte
jedenfalls zu verstehen. Sie war es, E., diese feenhafte Geliebte, aus Nerven
gewebt und doch wahrer als jede Wirklichkeit von Fleisch und Blut, diese aus
Musik und Erinnerungen gesponnene, nicht einmal mehr menschliche Erscheinung;
sie war der Grund, dass ich krank geworden war; und die Kraft, die Botschaft,
die mich in den vergangenen Wochen zum Leben angespornt hatte, konnte wieder
nur sie gewesen sein. Was hatte ich mir denn vorgestellt? Dass mir eine der Schwestern
geholfen hatte? Nein, sie war das einzige Wesen, das den wahren Grund für meine
Krankheit kannte. Die Botschaft war von weiter her gekommen, nur die gequälten
Nerven meines geschundenen Körpers hatten den Glauben in die Gestalten der
näheren Umgebung, in eine der Schwestern gesetzt. Die Wirklichkeit war hier in
meiner Hand – in der Dunkelheit berührte ich die Briefe, die auf meiner Decke
lagen –, sie war die Wirklichkeit, diese menschliche Beziehung, E., ihr Gefühl,
ihr Wille, ihre Hilfsbereitschaft hatte mich ins Leben zurückgezogen! Aufgeregt
schaltete ich das Licht an und las die Briefe noch einmal, jetzt langsamer und
aufmerksamer. Vier Briefe, vier schicksalsschwere Bekenntnisse. Diese Briefe
sagten alles, worüber wir in den Jahren zuvor geschwiegen hatten, Scham, Takt,
Manieren, alles schmolz in der leidenschaftlichen Temperatur der Sorge – sowohl
sie als auch ich erkannten und verstanden einander jetzt, durch die Krankheit,
zum ersten Mal.
    Ich läutete und sagte zur eintretenden Schwester: »Bitte bringen Sie
mir einen Telefonapparat. Hier auf mein Zimmer.«
    Und dann, heiser (ich hörte die unterdrückte, erstickte Erregung in
meiner Stimme): »Geben Sie der Zentrale Bescheid, dass sie mit Athen verbinden
sollen. Mit der Botschaft von X.«
    Â»Sofort«, sagte eine farblose, mechanische Stimme.
    Ich sah auf. Charissima stand in der Tür.
    Athen meldete sich gegen Mitternacht. Zwanzig Minuten lang sprachen
wir, E., ihr Mann und einer unserer Freunde, ein Botschaftsrat, der den Abend
in E.s Salon verbrachte; und wieder E., die ihrem Mann und dem gemeinsamen
Freund den Hörer aus der Hand nahm. Schließlich trennte uns die Hauszentrale
des Krankenhauses, halb scherzhaft, halb ernst; sie berief sich auf die
Anweisung des Professors und bat mich, das Gespräch aus »Behandlungsgründen« zu
beenden. Natürlich hatte der Unterarzt, der Hausschamane, es verfügt. Nicht
lange nach Mitternacht erschien er dann auch in meinem Krankenzimmer, auf
Zehenspitzen, unrasiert und unausgeschlafen wie immer, in diensthabender,
struppiger, mit Hausmantel und Pantoffeln ausstaffierter, nächtlicher
Unordnung; ein wenig, als käme er aus dem Operationssaal, und ein wenig, als
wäre er selbst auch aus einem Krankenbett aufgestanden. Er gähnte. Dann setzte
er sich auf den Diwan mir gegenüber und drehte sich eine Zigarette.
    Â»In einer Woche können Sie gehen.«
    Noch klang mir E.s Stimme im Ohr, diese schwärmerische, sich nervös
überschlagende, glückliche weibliche Stimme. Ich lag mit geschlossenen Augen da
und sagte: »Ich glaube, ja.«
    Â»Nicht ›ich glaube‹, sondern ›ich weiß‹«, sagte der Schamane und
gähnte wieder. »Morgen fangen Sie an zu gehen. Übermorgen werden Sie sich
beklagen, dass die Scampi nicht frisch waren. Die Rechnung werden Sie nur
deshalb nicht zu hoch finden, weil Sie bei uns keine Rechnung bekommen, Sie
sind Gast. Aber Sie zerbrechen sich den Kopf, was Sie uns geben könnten, dem
Professor und mir? Möchten Sie, dass ich Ihnen helfe? Geben Sie dem Professor
ein Manuskript, mit warmer Empfehlung. Mir geben Sie Geld«, und er sah auf die
Glut seiner Zigarette, ernst und feierlich.
    Â»Gern«, sagte ich und lachte.
    Â»Ganz im Ernst, Maestro«, sagte er besorgt wie ein Schüler, der
seinen Erzieher auf die Ernsthaftigkeit einer ungewohnten Bitte aufmerksam
macht. »Ich brauche immer Geld. Jetzt, wo Sie

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