Die Schwestern des Lichts - 3
Hellebardenträgern an«, sagte Hauptmann Ryan. »Ich soll bei unserem nächsten Angriff mit den Schwertkämpfern zu ihm stoßen.«
Kahlan kümmerte sich um ihre wunde Lippe. »Tossidin, sag Chandalen, daß wir sofort nach eurem Angriff aufbrechen müssen. Seid vorsichtig, ihr drei. Ihr müßt mich noch nach Aydindril bringen.« Sie konnte kaum die Augen offenhalten. Sie brachte kaum die Energie zum Sprechen auf. Sie wußte, daß sie zum Reisen noch zu schwach war. »Bis ihr zurück seid, ruhe ich mich aus.«
Hauptmann Ryan seufzte erleichtert. Hier wäre sie in Sicherheit. »Ich lasse ein paar Männer Wache stehen, während Ihr Euch ausruht.«
Sie winkte ab. »Dieses Lager ist gut versteckt. Hier oben bin ich sicher.«
Er beugte sich eindringlich vor. »Zehn oder zwölf Männer machen für uns keinen großen Unterschied, und ich könnte meine Gedanken besser auf unsere Aufgabe konzentrieren, wenn ich mich nicht darum sorgen muß, daß Ihr hier oben ganz alleine seid.«
Sie hatte nicht die Kraft zu widersprechen. »Also gut…«
Sie ließ sich zurückfallen. Mit sorgenvoller Miene zog Tossidin den Fellumhang über sie. Sie sank bereits zurück in die Schwärze, als die beiden durch die Öffnung nach draußen krabbelten. Sie versuchte zu verhindern, an diesen Ort bar jeder Empfindungen zurückzukehren, wurde aber hilflos fortgerissen.
Das erdrückende Gewicht der Leere brach über sie herein. Sie versuchte sich seinem Zugriff zu entziehen, versuchte wieder nach oben zu kommen, doch die Dunkelheit war zu zäh – es war, als wäre man in Schlamm eingeschlossen. Sie saß in der Falle, wurde immer tiefer eingesogen. Eine Woge von Panik überkam sie.
Sie versuchte zu denken, konnte ihre Gedanken aber nicht zu zusammenhängenden Begriffen ordnen. Sie hatte den Eindruck, daß irgend etwas nicht stimmte, konnte ihren Verstand aber nicht zwingen, auf die Lösung hinzuarbeiten.
Anstatt sich aufzugeben, konzentrierte sie sich diesmal mit aller Kraft auf Richard, darauf, daß sie ihm unbedingt helfen mußte, und schon war die Dunkelheit keine völlige Leere mehr. Sie bekam eine vage Vorstellung von Zeit, spürte immer deutlicher, wie sie verstrich. Sie kam sich vor, als verschliefe sie ihr ganzes Leben, während sie sich in ihren Gedanken hartnäckig an Richard klammerte.
Ihre Sorge um ihn und ihre Angst vor der Fremdheit dieses tiefelosen Schlafs ermöglichten ihr, sich langsam und methodisch den Weg zurück zu bahnen. Und doch kam es ihr vor, als dauerte es stundenlang.
Mit einem verzweifelten Japsen nach Luft wurde sie wach. Ihr drehte sich der Kopf, er pochte und tat weh. Am ganzen Körper verspürte sie ein stechendes, schmerzhaftes Prickeln. Mühevoll drückte sie sich hoch und sah sich starren Blicks in ihrem Unterschlupf um. Die Kerze war fast völlig heruntergebrannt. Die Stille klang ihr in den Ohren.
Vielleicht brauchte sie frische Luft, um wach zu werden. Arme und Beine fühlten sich dick und schwer an, als sie durch die Öffnung nach draußen kroch. Draußen wurde es gerade dunkel. Sie blickte zu den ersten Sternen hinauf, die durch die Bäume blinkten. Ihr Atem dampfte vor ihrem Gesicht, während sie auf wackeligen Beinen stand.
Kahlan machte einen Schritt, stolperte prompt über irgend etwas und landete auf ihrem Gesicht im Schnee. Die Wange noch immer an den Boden gepreßt, öffnete sie die Augen. Wenige Zentimeter entfernt starrten glasige Augen sie an. Ein junger Mann lag mit dem Gesicht seitlich im Schnee, ganz dicht neben ihr. Sie war über sein Bein gestolpert. Es war, als wollten ihre Knochen aus der Haut fahren und davonlaufen.
Seine Kehle klaffte auf, sein Hals war säuberlich durchtrennt, wodurch sein Kopf in einem unmöglichen Winkel zum Körper nach hinten gebogen war. Sie konnte die Öffnung seiner durchschnittenen Luftröhre erkennen. Verklumptes Blut bedeckte den Schnee. Galliger Schaum stieg ihr die Kehle hoch. Schluckend zwang sie ihn zurück nach unten.
Sie hob langsam den Kopf und bemerkte die dunklen Umrisse anderer Leichen. Es waren alles Galeaner. Die Schwerter steckten sämtlich noch in den Scheiden. Sie waren ohne eine Chance auf Gegenwehr gestorben.
Kahlans Beine versteiften sich, wollten fortlaufen, doch sie zwang sich unter Mühen, ruhig zu bleiben. Sie versuchte nachzudenken, trotz des dumpfen Nebels des Halbschlafs, von dem sie sich noch immer nicht befreien konnte. Ihr Verstand schien in einer traumähnlichen Benommenheit festzukleben, unfähig, sich zu konzentrieren.
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