Die Schwestern des Lichts - 3
für dich kommen können. Die letzte, die das Gebetskleid trug, war alt und runzlig. Sie hatte keine Zähne mehr. Ich hoffe, daß ich dir wenigstens ein wenig Freude bereiten und eines Tages dein Herz erweichen kann, doch ich gehöre dem Caharin . Es steht weder dir noch mir zu, darüber zu entscheiden.«
»Doch, das tut es!« Er sah sich suchend um und hob sein Hemd auf. Als er es überstreifte, sah er Schwester Verna am Rand der Lichtung. Sie sah ihn an wie einen Käfer in einer Schachtel. Er wandte sich an Du Chaillu.
»Du hast eine Aufgabe zu erledigen. Du wirst sie erledigen. Das Töten ist beendet. Die Schwester und ich müssen zum Palast, damit ich diesen Halsring abgenommen bekommen kann.«
Du Chaillu beugte sich vor und gab ihm einen Kuß auf die Wange. »Bis ich dich wiedersehe, Richard, Sucher, Caharin und Ehemann.«
49. Kapitel
Richard und Schwester Verna saßen auf ihren Pferden, warfen lange Schatten und blickten von dem grasbewachsenen Vorsprung hinunter in die Tiefe. Bäume säumten die tiefer liegenden Stellen zwischen einigen der Hügel und bedeckten andere mit einem dunklen Grün. Die ausgedehnte Stadt unten lag eingebettet in einen strohfarbenen Dunst, der die Farben zu pastelliger Einförmigkeit dämpfte. Die fernen Schindel- oder Ziegeldächer glitzerten im Licht der untergehenden Sonne wie Lichtpunkte auf einem Teich.
Noch nie hatte Richard so viele Gebäude in solch geordneter Aufreihung gesehen. Draußen an den Rändern waren sie kleiner, doch zur Mitte hin schienen sie sowohl an Größe als an Pracht zuzunehmen. Die fernen Geräusche von Zehntausenden von Menschen, Pferden und Wagen wehten bis hinauf zu ihnen auf den Hügel, getragen von der sanften, salzigen Brise.
Ein Fluß wand sich durch die Ansammlung zahlloser Gebäude und teilte die Stadt, wobei die Hälfte auf der anderen Seite doppelt so groß wie die hiesige sein mochte. Am Stadtrand säumten Hafenanlagen die Ufer längst der Mündung des majestätischen Flusses. Schiffe in allen Größen lagen dort nicht nur vor Anker, sondern sprenkelten den Fluß, die weißen Segel vom Wind gebläht. Einige der Schiffe, das konnte er gerade eben so erkennen, besaßen drei Masten. Richard hätte niemals gedacht, daß es so große Schiffe gab.
Obwohl er gegen seinen Willen hier war, mußte Richard feststellen, wie sehr ihn diese Stadt mit all den Menschen und den Sehenswürdigkeiten, die sie sicher barg, faszinierte. Einen solchen Ort hatte er noch nie gesehen. Vermutlich konnte man hier tagelang umherlaufen und hätte bei weitem noch nicht alles besichtigt.
Dahinter lag glitzernd voller goldener Funken und Spiegelungen das Meer, das sich bis zu einer messerscharfen Linie am Horizont erstreckte.
Die Stadt beherrschend, erhob sich in der Nähe ihres Mittelpunktes auf einer Insel im Fluß ein weitläufiger Palast, dessen mit Zinnen besetzte Westmauer ins goldene Licht der Sonne getaucht war. Innenhöfe, Festungswälle, Türme, Gebäudegruppen und Dächer, alle von prächtiger Machart, verschmolzen zu einem vielschichtigen Ganzen mit Höfen voller Bäume oder Rasen oder Teichen. Der Palast schien seine steinernen Arme in dem eifersüchtigen Versuch auszustrecken, die gesamte Insel zu umfassen, auf der er stand.
Aus der Ferne betrachtet, mit den fadendünnen Straßen, die strahlenförmig von der Insel im Mittelpunkt der Stadt ausgingen, und den schmalen Brücken, die den Fluß nach allen Seiten hin überspannten, erinnerte der Palast Richard an nichts so sehr wie an eine fette Spinne inmitten ihres Netzes.
»Der Palast der Propheten«, sagte Schwester Verna.
»Mein Gefängnis«, meinte Richard ohne sie anzusehen.
Sie überging seine Bemerkung. »Das ist Tanimura, und der Fluß, der mitten hindurchfließt, ist der Kern. Der Palast selbst steht auf Drahle, das ist die Insel.«
»Drahle.« Ihm sträubten sich die Nackenhaare. »Da hat sich aber jemand einen bitterbösen Scherz erlaubt.«
»Wieso? Ich habe keine Ahnung, was Drahle bedeutet.«
Richard zog eine Braue hoch. »Eine Drahle benutzt man bei der Falkenjagd. Es ist ein Ring, an dem man die sogenannte Lockschnur festmacht, damit der Falke nur ein Stücke weit fliegen kann, wenn er noch nicht zahm ist und zur Jagd abgerichtet wird.«
Sie tat dies mit einem Achselzucken ab. »Du liest zuviel in die Dinge hinein.«
»Tatsächlich? Wir werden sehen.«
Sie stieß einen leisen Seufzer aus, während sie die Hüften vorschob, und ihr Pferd hügelabwärts in Bewegung setzte. Sie
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