Die Schwestern des Lichts - 3
einen aus der Hand und hielt ihn ihr mit der Kerbe nach vorn hin. »Siehst du, hier? Wo die Sehne hineingreift? Man klemmt ihn so auf die Sehne, daß die Kerbe senkrecht steht. Sagt dir das irgend etwas?« Sie runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. »Einige Pfeile haben spiralförmige Federn, damit die Pfeile rotieren. Manche Leute glauben, daß sie dadurch an Wucht gewinnen. Ich weiß nicht, ob das stimmt, aber darum geht es auch nicht. Die Pfeile der Schlammenschen sind mit geraden Federn versehen. Das stabilisiert ihren Flug. Sie treffen in der gleichen Stellung auf, in der sie abgeschossen werden.«
»Aber mir ist immer noch nicht klar, worin sich dieser Pfeil von Prindins unterscheidet.«
Richard drückte seinen Daumennagel in die Kerbe. »So paßt der Pfeil auf die Sehne. Mit der Kerbe von oben nach unten. Wenn der Pfeil im Bogen liegt und wenn er trifft, befindet er sich genau in dieser Stellung. Und jetzt wirf einen Blick auf die Spitze. Siehst du, daß sie auch senkrecht steht? Genau wie die Kerbe. Spitze und Sehne liegen in derselben Ebene. Savidlins Pfeile mit Metallspitze sind alle so.
Der Grund dafür ist, daß er die Metallspitzenpfeile für die Jagd auf große Tiere benutzt, Wildschweine und Hirsche. Die Rippenknochen verlaufen bei Tieren senkrecht, genau wie die Metallspitzen. Dadurch ist die Wahrscheinlichkeit größer, daß sie durch die Rippen dringen, ohne von ihnen aufgehalten zu werden.«
Er beugte sich ein wenig weiter zu ihr herüber. »Prindins Pfeile sind anders. Die Spitzen sind um neunzig Grad gedreht. Wenn seine Pfeile in der Kerbe liegen, ist die Spitze waagerecht. Seine Pfeile sind nicht dafür gemacht, zwischen den Rippen von Tieren hindurchzudringen. Die Spitzen liegen waagerecht, weil er etwas anderes jagt. Etwas, dessen Rippen waagerecht liegen. Menschen.«
Kahlan spürte, wie sie eine Gänsehaut an den Armen bekam. »Warum sollte er das tun?«
»Die Schlammenschen sind sehr darauf bedacht, ihr Land zu sichern. Es geschieht nicht oft, daß sie Fremde hereinlassen. Ich könnte mir denken, daß Chandalen und seine Männer die Grenzen gegen Übertritte schützen. Vermutlich sind sie die wildesten Jäger der Schlammenschen und die besten Schützen. Frag Savidlin, ob sie mit ihren Bögen umzugehen verstehen.«
Sie leitete die Frage weiter.
Savidlin schien amüsiert. »Keiner von uns kann Chandalens Männer schlagen. Selbst wenn Richard mit dem Zorn gut sein sollte, wird er verlieren. Doch sie sind darauf bedacht, uns nicht zu sehr zu erniedrigen. Sie sind gute Gewinner. Richard braucht sich keine Sorgen zu machen, der Tag wird ihm Freude bereiten. Sie werden ihm beibringen, besser zu schießen. Das ist auch der Grund, weshalb ich meine Männer mitnehmen möchte: Chandalens Männer zeigen uns immer, wie wir uns verbessern können. Wenn man gewinnt, der Beste ist, bedeutet das bei den Schlammmenschen, daß man Verantwortung für die Besiegten übernimmt. Man muß ihnen zeigen, wie sie sich verbessern können. Sag ihm, daß er unmöglich kneifen kann, jetzt, nachdem er die Herausforderung angenommen hat.«
»Ich war immer schon der Ansicht, daß es nicht schaden kann, dazu zulernen«, meinte Richard. »Ich werde nicht kneifen.«
Als sie Richards angespannten Blick sah, mußte sie grinsen, bis ihre Kiefermuskeln schmerzten. Richard drehte sich grinsend um, zog seinen Rucksack über den Dielenboden und holte einen Apfel heraus. Er schnitt den Apfel entzwei, entfernte das Kerngehäuse und reichte ihr die Hälfte.
Die Ältesten rutschten nervös hin und her. In den Midlands galten rote Früchte als giftig – sie waren das Ergebnis eines bösen Zaubers. Im Westland, woher Richard stammte, war das unbekannt. Dort konnte man rote Früchte, wie zum Beispiel Äpfel, essen. Sie hatten ihn bereits einmal einen Apfel essen sehen, als er sie mit einem Trick dazu gebracht hatte, keine Frau aus ihrem Dorf heiraten zu müssen. Damals hatte er sie überzeugt, durch den Genuß eines Apfels könnte sein Samen für seine Braut vergiftet werden. Doch auch diesmal schwitzten sie, als sie sahen, wie die beiden die Prozedur wiederholten.
»Was tust du?« fragte Kahlan ihn.
»Iß einfach deinen Apfel, und dann übersetze für mich.«
Als sie fertig waren, erhob sich Richard und gab ihr ein Zeichen, sich
neben ihn zu stellen. »Verehrte Älteste, ich bin zurückgekehrt, nachdem ich die Bedrohung für Euer Volk abgewehrt habe. Jetzt, wo das vorüber ist, möchte ich Euch in einer Sache um Eure
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